Mittwoch, 22. September 2010

Hebels schönste Geschichte

Es ist eine der schönsten Geschichten - manche sagen: die schönste! - des evangelischen Pfarrers und Dichters Johann Peter Hebel: "Unverhofftes Wiedersehen". Ein junger Bergmann küsst seine junge hübsche Braut und sagt: "Bald wird unsere Liebe gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein." Aber der junge Bräutigam kehrt am Abend nicht mehr aus dem Bergwerk zurück.

Nach 50 Jahren finden Bergleute den Leichnam eines Jünglings, unverwest und unverändert, als wenn er vor einer Stunde gestorben wäre. Niemand außer einer grauen, zusammengeschrumpften Frau weiß mit ihm etwas anzufangen: "Es ist mein Verlobter", sagt sie endlich, "um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor meinem Ende".

Zur Beerdigung am andern Tag legt sie ihr Sonntagsgewand an, als wenn es ihr Hochzeitstag wäre. Denn als man ihn auf dem Friedhof ins Grab legt, sagt sie: „Schlaf nun wohl, und laß dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird’s wieder Tag.

2010 feiert die evangelische Kirche den 250. Geburtstag Johann Peter Hebels. Heute aber ist sein Todestag: Vor 184 Jahren ist er in Schwetzingen gestorben. Ich teile seine Hoffnung, die im letzten Satz der alten Frau zum Ausdruck kommt: "Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten."

[Dieser Beitrag ist auch als Rundfunkandacht in der Reihe "Feels Like Heaven" bei Rockland Radio gelaufen. Anhören! (mp3-Datei)]

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