Samstag, 10. Dezember 2011

Sterben ist suboptimal. Oder: Dürfen Pfarrer Kraftausdrücke verwenden, wenn sie übers Sterben sprechen?

"Er weiß, dass er bei aller Welt viele schändliche Namen hat und stinkt wie ein Teufelsdreck, in Deutschland geschissen; wollte er vielleicht gern, dass er nicht allein vor andern so scheußlich stänke, sondern auch andre löbliche Fürsten bestänkern."

So schrieb Luther in seiner Streitschrift "Wider Hans Worst", womit er den Herzog von Braunschweig meinte. Freilich handelt es sich um eine polemische Abrechnung mit seinen Gegnern, nicht um eine erbauliche oder seelsorgerliche Schrift. In seinem wunderbaren und unbedingt lesenswerten "Sermon von der Bereitung zum Sterben" wird man so etwas nicht finden.

So bleibt die Frage, ob ich als Pfarrer so über das Sterben sprechen bzw. schreiben darf, wie ich es in meinem vorangegangenen Eintrag getan habe. Ich wollte nicht respektlos gegenüber Sterbenden oder Trauernden sein, sondern respektlos gegenüber dem Tod selbst, ihm keinen quasi-heiligen Schutzraum zugestehen, in dem es verboten wäre, ihn mit profanen Namen zu belegen.

Der Ausgangssatz spukte schon länger in meinem Kopf herum, und der konkrete Anlass ließ mich die Gedanken recht spontan und schnell in einen Text fassen. Im Hintergrund stehen aber eigentlich alle Sterbefälle, die ich in den vergangenen 15 Jahren in meiner eigenen Familie erlebt habe, davon der jüngste erst wenige Wochen zurückliegend.

Bezüglich der Wortwahl war ich selbst unsicher, weshalb ich den Text erst einige Zeit nach dem Verfassen ins Blog stellte - zwei Kollegen hatten mich zuvor noch darin bestärkt: Es sei richtig, dass der Tod (fast) immer zur Unzeit komme - und das S-Wort in einer schlimmen Trauersituation verwenden zu können, habe auch schon befreiende Wirkung gehabt.

Unsicher war ich auch deshalb, weil ich selbst fast keine eigenen Erfahrungen in der Sterbebegleitung mitbringe, aber lesend wahrnehme, dass es dabei offenbar auch andere, versöhnlichere Abschiede gibt. Diese kommen in meinem Beitrag nicht vor.

Auf Twitter erfuhr ich ausschließlich positive Resonanz. Der Beitrag wurde bis jetzt siebenmal per Retweet weiterverbreitet, eine Reaktion lautete einfach nur "danke!", während sich mit dem Braunschweiger Kollegen Güntzel Schmidt noch eine kleine Konversation entfaltete - um das von ihm eingebrachte Zitat Walt Whitmans: "To die is different from what anyone supposed, and luckier", Christoph Blumhardts Rede davon, dass Christen "Protestleute gegen den Tod sind", sowie die (vorbildhafte?) Haltung in 2.Sam 12, 21-23.

Auf Facebook dagegen gab es kein einziges "Gefällt mir" und keinen Kommentar; wenigstens zwei oder drei Reaktionen sind normalerweise schon die Regel. Diese Zurückhaltung nehme ich deshalb als eher negative Resonanz wahr. Zumal ich auch eine persönliche Nachricht erhielt von jemandem, der erst vor kurzem einen nahen Familienangehörigen verloren hat und die Wortwahl als unangemessen und verletzend empfand.

Deshalb denke ich nun: Es gibt wohl Situationen und Gespräche, in denen das betreffende Wort tatsächlich einen angemessenen Platz haben kann - darüber muss man aber zuvor als Seelsorger eine Einschätzung über den jeweiligen Einzelfall gewonnen haben. Es eignet sich eher nicht, um sich damit von vorneherein an die Allgemeinheit zu wenden.

Oder was meint ihr / was meinen Sie? Rechtfertigt "dem Volk aufs Maul schauen" zu wollen, auch hin und wieder die Verwendung von Kraftausdrücken? Oder haben wir auch hier als Menschen, die in der und für die Kirche sprechen, Vorbildfunktion, und sollten unsere Sprache, wie von gewalthaltigen Phrasen, so auch rein halten von Fäkalsprache?

4 Kommentare:

  1. Ich fand das Wort selbst nicht so deplatziert. Ich erinnere dazu auch Phil 3,8.
    Für schwieriger, zu schwierig, empfand ich es, dies im Schluss-Satz für einen argumentativen Gag zu benützen: klingt an dieser Stelle zu spielerisch. Am liebsten hätte ich Wortspiel gesagt, ist aber kein direktes. Es erinnert auch an Witze. Wer wirklich drin steckt, dem ist danach nicht zumute.
    Und mit der Argumentation etwas zu leicht fertig geworden. Da müsste sie wohl erst anfangen: Was hilft es mir, wenn's mir weniger "stinkt"? Aber da haben wir alle nicht die argumentative Patentlösung.

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  2. Danke für diese Einschätzung; da ist sicher etwas dran, was den letzten Satz angeht. Vielleicht ist er der langjährigen Arbeit als Andachtenautor im privaten Rundfunk geschuldet ;-)

    Ansätze dazu, wie ich das argumentativ vertiefen würde, habe ich ja in diesem Kommentar beschrieben.

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  3. Das mit FB stimmt so nicht ganz: http://on.fb.me/sa97xb Übrigens ist mir der Pfarrer, der in menschl. schwierigen Situationen auch mal das S... Wort benutzt, menschlich viel näher und hilfreicher, als jener, der nur wohltönendes Schrechblabla absondert.

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  4. @Uwe: Etwas verspätet - danke für die FB-Verlinkung und wohlwollende Rückmeldung. Wie gesagt: Ich schließe die Verwendung ja nicht aus, aber es ist schon nötig, denke ich, zunächst einmal die Menschen, mit denen man zu tun hat, einschätzen zu können: Wie sprechen die selbst über ihre Situation? Was empfindet mein Gegenüber als angemessen oder unangemessen? Kann die Verwendung dieser Vokabel für ihn/sie "befreiend" sein? Oder stößt es eher vor den Kopf? Mit einer Rundumverteilung, wie ich sie mit Blogeintrag und Twitter/FB-Verlinkung vorgenommen habe, muss man doch vorsichtiger sein.

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