Freitag, 9. März 2012

Nur positiv denken?

Richtig viel Geld verdienen; den Traumpartner fürs Leben finden; erfolgreich und glücklich sein: nichts leichter als das. Positiv denken lautet die Zauberformel.

Mit 15, 16 fand ich das auch reizvoll. Ein paar Bücher habe ich gelesen, Methoden übernommen – und nein, es war nicht alles schlecht daran. Die Entspannungstechnik des autogenen Trainings hat mir geholfen. Und zum anderen habe ich wieder öfter in die Bibel geschaut. – Warum? Weil viele Positivdenker christliche und biblische Traditionen aufgenommen haben. Wenn auch ziemlich einseitig. Denn letztlich sind für sie diese Traditionen nichts anderes als Techniken, das Unterbewusstsein zu steuern; so dass es quasi automatisch ein erfolgreiches Leben herbeiführt. Der Glaube wird so aber zu einer Methode degradiert, zu einem Werkzeug, um bestimmte Ziele zu erreichen.

Wie sehr diese Sichtweise den Reichtum der biblischen Geschichten einschränkt, das habe ich erst später erkannt. Und auch, welche Gefahr darin lauert. Man könnte nämlich meinen: Wer leidet, wer scheitert, wer krank und arm und schwach ist, denkt und glaubt halt falsch – ist also selbst schuld daran.

Heute meine ich: mit Positivem Denken lässt sich das Lebensglück genauso wenig herbeizwingen, wie sich das Lebensleid vermeiden oder verkraften lässt. „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt“, so reagierte der biblische Hiob, als ihm die „Hiobs-Botschaften“ überbracht wurden. Und Jesus betete vor seiner Verhaftung: „Vater, nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“

Hiob und Jesus haben gewusst: Nicht alle meine Wünsche gehen in Erfüllung, wenn ich nur richtig glaube oder bete. Diese Glaubenstradition verhilft mir zu einem gelassenen Umgang mit den Wechselbädern des Lebens. Hanns Dieter Hüsch hat diese Glaubensgelassenheit so beschrieben:

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,
Gott nahm in seine Hände meine Zeit:
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Dann kann ich mir immer noch unverkrampft ein Ziel vornehmen und darauf hinarbeiten – auch mit ein paar erprobten Techniken, mich selbst zu motivieren.

[Dieser Beitrag lief am 9. März 2012 in SR2 und 3 als "Innehalten".]

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