Sonntag, 24. Februar 2013

Immer erst, wenn's zu spät ist. - Predigt am Sonntag Reminiszere, 24.02.2013

[gehalten in der Protestantischen Kirche Neuhofen]
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Da sprachen die Juden: Will er sich denn selbst töten, dass er sagt: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen? Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden. Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Zuerst das, was ich euch auch sage. Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber] der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. Sie verstanden aber nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach. Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. Als er das sagte, glaubten viele an ihn.
Joh 8, 21-30


Liebe Gemeinde,

ein mühsames Gespräch führt Jesus da: Viel Mühe hat er damit. Wenig Samen kann er säen. Auch wenn es am Ende heißt: "Als er das sagte, glaubten viele an ihn." Aber die mühsamen Gespräche sind noch nicht am Ende. Und es zeigt sich: Mit dem Glauben der Vielen ist es doch nicht so weit her. Am Ende dieses Kapitels im Johannesevangelium heben sie sogar "Steine auf, um auf ihn zu werfen" (Joh 8, 59).


Es ist ja auch ein starkes Stück, was Jesus ihnen da erläutert - auch für unsere Ohren schwer zu hören, vielleicht noch mehr für unsere Herzen. "Ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben",  prophezeit Jesus. In Sünde sterben, das heißt: ohne Hoffnung sterben, das Leben verwirkt haben, vergeudet.

Wie eine Drohung klingt das.
Wo ist da unser guter Hirte?
Wo der nahe, liebende Gott?
Wo die Barmherzigkeit?

Und Jesus reißt die Kluft noch tiefer. "Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt." Solch eine Kluft zwischen Jesus und denjenigen, mit denen er redet? Solch eine Kluft zwischen Jesus und gar auch uns?
Unüberwindlich!? Endgültig!? Abschließend!? Ja, der Himmel für uns abgeschlossen. Wir ausgeschlossen. So klingt das.

Doch ist es auch die Reaktion Jesu auf die Verschlossenheit seiner Gesprächspartner. "Die Juden" heißen sie hier. Dabei war Jesus doch selber einer. Es ist auch Johannes, der zwischen den Zeilen hier spricht. Johannes, der Evangelist. Seine Gemeinde: Christen, rund 70 Jahre nach Jesu Tod, vom Gottesdienst in der jüdischen Synagoge ausgeschlossen, abgelehnt und schief angesehen von der oder den jüdischen Gemeinden in der Umgebung. Kein Wunder also, wenn Johannes die Geschichte Jesu erzählt, dass die Juden dabei oft nicht gut wegkommen, dass er gerade diejenigen Begebenheiten auswählt, die ihr Unverständnis zeigen.

Und wie er es zeigt: "Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen", sagt Jesus. Und die Reaktion: "Will er sich denn selbst töten?" Was für eine böswillige, ja absurde Frage. So absurd, dass zu vermuten ist: Die wollen Jesus gar nicht verstehen. Würden sie nämlich annehmen, was er sagt, dann müssten sie ihr Leben ändern, ihren Glauben, müssten sich von Überzeugungen verabschieden, von Haltungen, die ihnen zur Gewohnheit und bequem geworden sind. Und so schieben sie Verständnisfragen vor:
Will er sich denn selbst töten?
Wer bist du denn überhaupt?
Und wer soll das sein, der dich gesandt hat?

Schließlich macht Jesus es ganz deutlich: "Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt."

Klar ist damit: der Vater, das ist Gott. Und Jesus nicht einer, der irgendwann einmal losgeschickt wurde und nun solo die Welt durchwandert, sondern einer, stets begleitet von Gott, eng begleitet: Wo Jesus geht, da geht Gott. „Ich bin es“, sagt Jesus, und das musste damalige Hörer an die Selbstoffenbarung Gottes im Alten Testament erinnern: „Ich bin, der ich bin.“ Eine Provokation: Maßt sich da einer an, wie Gott selbst zu sein?

Doch erkennen, sagt Jesus, wahrhaft erkennen werden das seine Gesprächspartner ohnehin erst, wenn der Menschensohn "erhöht wird". Den Menschensohn erhöhen, das hat eine Doppelbedeutung. Erhöhen, das heißt zum Einen, erhöhen, hinaufheben ans Kreuz, meint also die Kreuzigung Jesu - dieses Erhöhen geschieht durch Menschen: „Wenn IHR den Menschensohn erhöhen werdet“. Doch ist es damit nicht zu Ende. Gott macht aus dem Kreuzestod Jesu mehr: er erhöht ihn, indem er ihn auferweckt und in die himmlische Herrlichkeit aufnimmt.

"Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin" - traurig, diese Prophezeiung, und typisch, so wiedererkennbar. Denn es ist wie so oft: Wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist - dann begreifen wir es, dann wollen wir darüber reden, dann wollen wir etwas ändern, dann wollen wir handeln. Wie in dem alten Spruch,  der in den 80er Jahren so beliebt war in der Naturschutzbewegung: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, dann werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann."

Wenn es zu spät ist.
Wenn der Unfall passiert ist,
dann wird das Warnschild aufgestellt.
Wenn der Lebensmittelskandal da ist,
dann werden die Abläufe strenger überprüft.
Wenn finanzielle Spielräume so eng geworden sind, dass selbst die Alternativen nicht mehr gangbar sind,
dann werden diese auf einmal in Betracht gezogen.

Oder, im persönlichen Bereich:
Wenn ein böses Wort gefallen ist,
dann wird beschwichtigt und das eigentlich Gemeinte beschworen.
Wenn jemand unerreichbar für mich geworden ist, durch Krankheit oder Tod,
dann nagt an mir, was ich ihm noch hätte sagen oder mit ihm unternehmen wollen.
Wenn es zu spät ist.

Die Gründe? Wir kennen sie:
Die Bequemlichkeit.
Die Macht der Gewohnheit.
Die falsche Scham.
Der innere Schweinehund.

Viele stellen in diesen Wochen genau das auf den Prüfstand. Sie betrachten ihre Gewohnheiten, legen die einen ab und nehmen andere an. Wenigstens für sieben Wochen, oft hält es dann aber länger an. Es lässt sich üben, im Kleinen, zu neuen Haltungen zu kommen. Dabei geht es nicht um Fasten als besonders fromme Leistung, um vor Gott und den anderen gut da zu stehen, sondern um festzustellen: Wie festgelegt bin ich? Kann ich auch noch anders? Oder laufe ich Gefahr, in welchem Zusammenhang auch immer, irgendwann sagen zu müssen: Jetzt, jetzt würde ich gern anders. Doch jetzt ist es zu spät.

Es gibt viele "Zu späts" im Leben. Gibt es auch ein "Zu spät" im Glauben? Wie gesagt: Die verschlossene Himmelspforte? Dieser Jesus im Johannesevangelium, der mahnt, es könne ein "Zu spät" geben: "Ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben". Verschlossen die Tür uns, den Verschlossenen. Denn das ist die Frage: Wie verschlossen sind wir selbst?

Es gibt einen Schlüssel, der uns aufschließt. Paulus spricht davon in folgenden Worten;
wir haben sie vorhin bereits gehört: "Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird." (Römer 5, 1+2)

Im Glauben
durch Christus
zur Gnade

Das ist der Schlüssel, den Gott selbst uns gibt, der Schlüssel, der noch aufschließt, wenn es schon zu spät ist, wenn die Tür schon ins Schloss gefallen ist.

Denn Gott weiß um unsere Schwäche. Und deshalb tut er genau dies: Er geht in und mit seinem Sohn den Weg ans Kreuz. Der Tod am Kreuz - das Urteil der Welt darüber muss lauten: auch für den ist es zu spät. Aber Gott macht für uns daraus das Gegenteil: Hier ist der entscheidende Moment. Hier ist es genau rechtzeitig.

Und dennoch wollen wir uns die Mahnung Jesu zu Herzen nehmen: Lasst es nicht zu spät werden. Nicht im Leben und Sterben. Und nicht im Glauben.
Amen.

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