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Sonntag, 26. April 2020

Struktur durch Rituale in Krisenzeiten

Gedanken aus einer meiner Telefonandachten in den vergangenen Tagen:


Der Kaffee am Morgen und die Tageszeitung dazu, vielleicht etwas Frühsport, der Spaziergang am Nachmittag, die Zeit für das gute Buch oder das Hobby, der Fernsehabend , der Stammtisch oder der Vereinsabend einmal in der Woche, das Telefonat oder Treffen mit der besten Freundin, der Ausflug am Wochenende oder der Familienbesuch – das sind Rituale: Alltagsrituale. Sie helfen, mich auf mich selbst zu besinnen, meine Gesundheit, mein Wissen und Können, meine Entspannung, meinen Freundeskreis, meine Familie.

Das Läuten der Kirchenglocken zu bestimmten Tageszeiten, das Tisch- oder Abendgebet, der Gottesdienstbesuch, die Abendmahlsfeier, Taufen, Trauungen, Trauerfeiern – auch das sind Rituale: Glaubensrituale. Im Unterschied zu den Alltagsritualen verweisen sie nicht nur auf mich selbst und diejenigen, die mir nahe stehen, sondern auf etwas Höheres, womit ein tieferer Sinn unseres Daseins verbunden ist. Sie helfen, mich auf Gott zu besinnen, darauf, dass mein Leben sich nicht mir selbst verdankt, dass es ein Geschenk ist, dass ich gewollt und angenommen bin, dass ich mich nicht selbst erlösen kann, und dass ich hoffen darf über dieses Leben hinaus.

Gemeinsam ist beiden Ritualformen: Sie helfen, Struktur zu geben: den Tagen und Wochen, dem Jahr, dem ganzen Leben. Für viele dieser Rituale sind die Zeiten und Orte von außen vorgegeben, so dass wir uns danach richten können. Andere haben wir über Jahre hin eingeübt, sie sind zur Gewohnheit geworden.

Nun ist wegen der Kontaktsperre und den sonstigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens vieles davon weggebrochen. Die Tage drohen strukturlos zu werden, ein Einheitsbrei, ohne Rhythmisierung, ihre Ecken und Enden fransen sozusagen aus. Das ist vor allem für alleinstehende Menschen schwierig, auch für Menschen, die keine Arbeit haben oder ihr derzeit nicht nachkommen können oder dürfen.

In vielen Familien äußert es sich anders: Die Kombination, zu Hause für den Schulunterricht der Kinder sorgen und zugleich den eigenen beruflichen Verpflichtungen im Homeoffice nachkommen zu müssen, überdeckt alles so weit, dass auch dabei gewohnte Rituale auf der Strecke bleiben.

In der gegenwärtigen Situation mag es deshalb hilfreich, wenn nicht gar notwendig sein, sich über seine eigenen ritualisierten Abläufe Gedanken zu machen und sie bewusst zu gestalten: die Alltags- und die Glaubensrituale: Wo und wie sollen sie jetzt Platz haben in meinem Leben? Und sich dann diese Ritualtermine mit sich selbst in den Kalender eintragen – und sich wirklich jeden Tag daran erinnern lassen, vielleicht den Wecker dafür stellen. Das sind kleine Tricks, die helfen können.

Der Apostel Paulus schreibt: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther 5, 17) – Dass wir diese Tage als Chance zur Erneuerung erfahren, im persönlichen Leben wie auch gesellschaftlich, das wünsche ich uns allen.

Donnerstag, 26. März 2020

Telefonandacht: Der ferne Nächste

Meine erste Telefonandacht ist ... "on line".

Bitte verbreitet die Nummer 0 62 36 / 48 929 78 vor allem unter Menschen, die keinen Computer haben oder keinen Internetzugang benutzen können.

Ich weiß noch nicht, wie regelmäßig ich es schaffe, eine neue Telefonandacht zu erstellen. Mindestens 2x die Woche (Mi + So) plane ich vorläufig.

Rückmeldungen sehr willkommen!
Pfarrer Alexander Ebel

Hier im Blog ist die Andacht nun auch - und natürlich in besserer Audioqualität zu hören: "Der ferne Nächste"

Sonntag, 24. Februar 2013

Immer erst, wenn's zu spät ist. - Predigt am Sonntag Reminiszere, 24.02.2013

[gehalten in der Protestantischen Kirche Neuhofen]
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Da sprachen die Juden: Will er sich denn selbst töten, dass er sagt: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen? Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden. Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Zuerst das, was ich euch auch sage. Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber] der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. Sie verstanden aber nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach. Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. Als er das sagte, glaubten viele an ihn.
Joh 8, 21-30


Liebe Gemeinde,

ein mühsames Gespräch führt Jesus da: Viel Mühe hat er damit. Wenig Samen kann er säen. Auch wenn es am Ende heißt: "Als er das sagte, glaubten viele an ihn." Aber die mühsamen Gespräche sind noch nicht am Ende. Und es zeigt sich: Mit dem Glauben der Vielen ist es doch nicht so weit her. Am Ende dieses Kapitels im Johannesevangelium heben sie sogar "Steine auf, um auf ihn zu werfen" (Joh 8, 59).

Samstag, 6. Oktober 2012

Geschenkte Zeit


Vor nicht ganz 18 Jahren hat ein Kleinbus nachts eine rote Ampel überfahren und ist mir genau in die Fahrerseite gekracht. Meine beiden Mitfahrer wurden leicht verletzt, dachten aber minutenlang, ich wäre tot, als ich bewusstlos über dem Steuer hing. Mit einer Gehirnerschütterung, einem gebrochenen Jochbein, die Wange aufgerissen, kam ich ins Krankenhaus.

Dort hatte ich Zeit zum Grübeln. Eigentlich war es Glück im Unglück: Es hätte ganz anders enden können.
Trotzdem: Eine wundersame Bewahrung konnte ich darin nicht erkennen. Ein Schutzengel, der ordentliche Arbeit macht, hätte doch wohl früher eingegriffen.

Als junger Student geriet Martin Luther in einen schweren  Gewittersturm. Ganz in seiner Nähe schlug ein Blitz ein, woraufhin er gelobte: „Ich will ein Mönch werden.“
Irgendwie habe ich darauf gewartet, dass mein Unfall auf mich auch so einschneidende Wirkung ausübt. Nicht gerade, dass er mich ins Kloster führt. Aber doch eine Erleuchtung, ob ich mich irgendeiner besonderen Aufgabe widmen soll. Ist nicht passiert.

Aber anderes ist passiert seitdem.
Nahe Verwandte sind gestorben.
Meine Kinder wurden geboren, und ich sehe sie aufwachsen.

Und ich erkenne je länger je mehr: wie brüchig das Leben ist, wie wenig selbstverständlich. Wie sehr meine Zeit hier geschenkte Zeit ist.

Es geht nicht darum, ob ich wie durch ein Wunder aus dieser Gefahr errettet oder von jener Krankheit geheilt werde.
Sondern darum, dass das Leben überhaupt ein Wunder ist.
Danke dafür, guter Gott.

Montag, 1. Oktober 2012

Sonntag, 30. September 2012

"Ich dachte, ich arbeitete vergeblich ..." - Predigt am 30.09.2012 (17. nach Trinitatis)

[gehalten in der Protestantischen Martin-Luther-Kirche, Schifferstadt]



Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist. Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, - darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet, und mein Gott ist meine Stärke -, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.
Jesaja 49, 1-6

Liebe Gemeinde,
das sind Sätze, die unmöglich mit nur einem Mal Hören oder Lesen zu verstehen oder auch nur aufzunehmen sind. Große Worte klingen da irgendwie heraus, aber sie rauschen doch vorbei.

Ich will deshalb heute Morgen nicht eingehen auf die geschichtliche Situation vor 2500 Jahren, in der dieser Text entstanden ist. Ich will auch nicht die Frage diskutieren, wer oder was dieser „Gottesknecht“ ist, der im Jesajabuch an mehreren Stellen auftaucht, ob er eine einzelne königliche oder prophetische Gestalt ist oder ob er doch eher das Volk Israel als Ganzes darstellt, – oder ob er sogar als Prophezeiung auf Jesus Christus hin gedeutet werden darf.

Das alles soll heute Morgen nicht Thema sein.
Ich will stattdessen die innere Entwicklung nachzeichnen, die dieser Mensch, der hier spricht, durchmacht.
Und ich hoffe, dass daran deutlich wird: Obwohl das alles zunächst so abgehoben und fern und vergangen klingt, hat der Prophet hier eine Grunderfahrung niedergeschrieben, die jeder einmal macht, der von sich sagt: Ich glaube an Gott und gewinne daraus meinen Lebenssinn.
Was das für eine Erfahrung ist, verstehen wir am besten, wenn wir die Gedankenbewegung desjenigen, der da schreibt, so mitgehen, wie er sie formuliert hat.

Er beginnt seine Rede mit ungeheurem Selbstbewusstsein. Er wendet sich nicht an eine Einzelperson oder eine kleine Gemeinde. Er wendet sich gleich an die ganze Welt: „Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf!“ Woher kommt dieses Selbstbewusstsein? Er sagt es gleich im nächsten Satz: „Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an, er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.“ Daher kommt sein Selbstbewusstsein, sein Selbstvertrauen: Weil er sich getragen weiß, weil er um seinen Ursprung, seine Wurzel weiß. Er ist verankert und gefestigt durch seine Vergangenheit, er weiß: Gott hat mich gekannt, bevor ich geboren war. Gott hat mit mir etwas vorgehabt, noch bevor ich aus dem Leib meiner Mutter hervorgekommen bin in diese Welt. Und: Er hat mich schon geliebt, bevor mich Menschen lieben konnten.

Das ist die Wurzel des Propheten. Das ist auch – glaube ich – die Wurzel, auf die wir alle hier zurückgehen und auf die wir uns berufen, woher auch wir unsere Sicherheit gewinnen, und was wir glauben: dass wir gewollt sind. Dass es kein Zufall ist, dass wir da sind, kein Schicksal, sondern ein Akt der Liebe. Und deshalb können wir mit beiden Beinen fest im Leben stehen – weil wir wissen: Wenn uns sonst auch keiner kannte, wenn sonst auch keiner wusste: Was wird aus ihm? – Gott hat es gewusst. Schon von Anfang an.

Dann redet der Prophet in diesen Waffenworten. Und was er da bildhaft mit diesen Begriffen umschreibt, mit dem scharfen Schwert und dem spitzen Pfeil, was er damit ausdrücken will, ist, welche Gaben und Fähigkeiten ihm Gott mitgegeben hat, welches Charisma. Charisma, das alte griechische Wort für "Gnadengeschenk, göttliche Gabe". Diese Gaben, die Gott diesem Propheten gegeben hat, beziehen sich auf seine Sprache, seine Persönlichkeit, sein Auftreten. "Meinen Mund hat Gott wie ein scharfes Schwert gemacht". Wir kennen heute noch den Ausdruck "eine spitze Zunge haben". Was dieser Prophet, der hier spricht, offensichtlich kann, ist mit Worten so genau den Finger in die Wunde legen, dass es anderen deutlich wird, was Sache ist, wo sie sich eingeigelt haben und sich gleichgültig eingerichtet haben mit einer Situation, die doch eigentlich unannehmbar ist. Und diese Gabe, so sagt er, verdankt er Gott.

Und nun spricht er von seinem ganz speziellen, eigenen Auftrag: Gott spricht zu ihm: "Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will." Es geht um das Amt des Propheten, aber eigentlich um das Amt eines jeden, der sich im Dienste Gottes sieht: Gott zu verherrlichen, allein Gott in der Höhe die Ehre zu bringen, durch alles, was er tut und sagt.
Und dann, nach alledem!
- Nachdem der Prophet so groß, fast großspurig sich an die ganze Welt gerichtet hat: „Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf!“ ...
- Und nachdem er verdeutlicht hat, wie sehr er sich in Gott verwurzelt sieht, sich vom Mutterleibe an mit ihm verbunden und von ihm getragen weiß ...
- Und nachdem er hingewiesen hat auf die Gaben und Fähigkeiten, die Gott ihm verliehen hat und die ihn vor anderen auszeichnen ...
- Und nachdem er gesagt hat: Ich habe von Gott einen Auftrag bekommen. Ich bin derjenige, durch den er sich in der Welt verherrlichen will, durch den er zeigen will, wie groß und mächtig er ist ...

Nach alledem! kommt trotzdem ein Satz, bei dem ich mich auf einmal dem Propheten ganz nahe fühle. "Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, obwohl doch mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist."

Ich glaube, dieser Zweifel ist eine allgemein menschliche Grunderfahrung: Dieses Gefühl, sich bemüht zu haben, gearbeitet zu haben, sich engagiert zu haben, und sich dann zu fragen: Hat das eigentlich wirklich etwas bewirkt? Am Sinn und Nutzen dessen, was ich tue, zu zweifeln, und daran, ob es wirklich etwas beiträgt zur Bildung der nachfolgenden Generationen, zu einem besseren Miteinander in der Gemeinde, sei es nur zum guten Zusammenleben in der Familie.

Selbst dieser Prophet, der sich so verwurzelt sieht in Gott, der seine Herkunft, seinen Auftrag, seine Fähigkeiten so überzeugt von Gott her bestimmt sieht, ist nicht gefeit vor diesem Zweifel.

Allein diese Tatsache ist für mich schon ein Trost. Das gibt jedem und jeder unter uns absolut das Recht zu sagen: Ich darf auch mal dran zweifeln, ich darf auch mal resignieren, auch wenn es sich schrecklich anfühlt, denn es IST auch zum Resignieren, wenn man sieht, wie sich nichts ändert über all die Jahre, die ich mich engagiert habe, die sich christliche Gemeinden engagiert haben, die auch auf politischer, auf gesellschaftlicher Ebene sich Menschen engagiert haben und versucht haben, etwas zum Guten hin zu verändern, und dann kommt doch heraus: Der Egoismus scheint sich durchzusetzen, die Reichen werden immer reicher, eine immer kleinere Anzahl von Leuten besitzt einen immer größeren Teil des Vermögens, die Armen werden immer ärmer, eine neue Unterschicht soll es geben – was die Menschen, die in diesen Zusammenhängen arbeiten, in Beratungsstellen, in Initiativen, schon lange wussten.

Sicher könnten Sie alle auch Beispiele aus Ihrem eigenen Leben geben, wie es ist, Tage, Monate, Jahre an etwas zu geben, von dem man nicht weiß, ob und was es bewirkt. Wenn es ganz arg kommt, geht es einem wie dem Propheten: Er sagt: „Ich verzehrte meine Kraft“, er fühlt sich ausgezehrt und unnütz.

Doch wie sich der Prophet fühlt, macht noch einmal eine Wende, und das ist auch eine wichtige Wende für uns – zu wissen, wenn es mir so geht, wenn ich das Gefühl habe, nichts von dem, was ich tue und sage und handle, hat einen Sinn, bewirkt etwas zum Guten hin: Worauf kann ich mich dann noch verlassen, rück-be-SINN-en? Und es ist tatsächlich nur das Eine, das Wort Gottes: "Nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat".

Das ist das Entscheidende: Gott spricht zu uns, durch andere Menschen, durch die Bibel, durch Erfahrungen, die wir machen im Miteinander, durch die kleinen, guten Zeichen, die Erfahrungen von Solidarität, von Gemeinschaft, vom Teilen, die es ja doch gibt, und für die wir nur die Augen öffnen müssen, die uns oft nicht mehr auffallen vor dem, was uns in den Medien präsentiert wird, denen oft nur schlechte Nachrichten gute oder berichtenswerte Nachrichten sind, die darin oft untergehen – dafür die Augen öffnen und darin die Nähe Gottes erfahren, das Wort Gottes, das Gott für einen jeden von uns persönlich und speziell zu sagen hat.

Für den Propheten hier hat Gott den speziellen Auftrag, das große zerstreute Gottesvolk Israel wieder zurückzubringen und zu sammeln. Zu wissen aber, dass er einen Auftrag hat, das gibt ihm wieder das Bewusstsein zurück, „vor dem Herrn wert geachtet“ zu sein.

Dann geht der Auftrag noch weiter: Es geht nicht nur um dieses eine, ursprüngliche auserwählte Gottesvolk, sondern "ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde". Dieser Auftrag gilt der ganzen Welt, und deshalb hat der Prophet seine Rede auch an die ganze Welt, an die Völker in der Ferne gerichtet.

Das ist es, was Gott für die Welt will: Sein Heil soll sich in ihr durchsetzen, seine Freiheit, sein Friede, seine Gerechtigkeit für alle. Das ist Gottes Wille, der hier im Auftrag an den Propheten im Alten Testament deutlich wird – und der für uns Christinnen und Christen noch einmal ganz deutlich geworden ist durch Jesus Christus, der von sich gesagt hat: Ich bin das Licht der Welt.

Davon ausgehend haben wir das Amt und den Auftrag übernommen, ebenfalls Licht zu sein. Als Menschen, die wir an Christus als das Licht der Welt glauben, ist es unsere Aufgabe, dieses Licht in die Welt zu bringen. Und dieser Auftrag – wie der Auftrag Gottes an den Propheten – zeigt uns, dass wir wert geschätzt sind vor dem Herrn.

Für diese Aufgabe, Licht in der Welt zu sein, hat Gott wie diesem Propheten so auch uns jedem seine eigenen Gaben und Fähigkeiten gegeben, sei es ein guter Lehrer zu sein oder ein guter Erzähler, sei es selbst wichtige Erfahrungen gemacht zu haben, die man an andere weitergeben kann, sei es gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen zu können, sei es gut mit Alten und Kranken umgehen zu können, ihnen Trost spenden zu können, sei es handwerklich begabt zu sein, etwas schaffen und bauen zu können, sei es reden zu können, sei es organisieren und planen zu können, irgendetwas mit vorzubereiten, Ideen zu entwickeln. Das alles sind Gottes Gaben für uns in dieser Welt, die uns helfen, Licht zu sein und diese Welt hier und da an vielen kleinen Punkten immer heller zu machen – entgegen allem Dunklen und resignierend Wirkenden.

Wenn die Frage gestellt wird: „Wie sollen wir als Christen in der Welt handeln?“, dann wird gerne die Antwort gegeben: Orientiere dich an der Frage: „Was würde Jesus tun?“ Aber ich glaube, das überfordert uns – als ob jeder von uns ein kleiner Christus sein könnte. Ich habe vor einiger Zeit einen anderen Satz gehört, den ich hilfreicher finde: Wie würde ich mich verhalten, wenn Jesus mit am Tisch säße? Wenn er bei dieser Besprechung oder jener Sitzung mit dabei wäre? Stell dir vor, er ist mit im Zimmer, wenn du mit deinem Kind sprichst, wenn du mit deinen Eltern sprichst. Was würdest du tun und sagen in der Anwesenheit eines solchen Gastes? Sich daran zu orientieren ist Aufgabe genug.

Was uns Kraft gibt, ist immer wieder diese Rückbindung, diese Vergewisserung, dass wir die Sicherheit darin haben, dass wir von Gott herkommen, von Gott her gewollt sind, schon vor aller Zeit. Schon bevor uns die Welt gesehen hat, hat uns Gott gesehen. Und wenn uns die Welt einmal nicht mehr sehen wird, dann sieht uns Gott immer noch. Diese Gewissheit haben wir durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Mit ihm hat er UNS gezeigt, was er dem Propheten auf andere Weise gesagt hat: Du bist vor mir wert geachtet! Und wir können sagen: Mein Gott ist meine Stärke.
Amen.

Freitag, 18. Mai 2012

Spielplatzrebellen

Da, wo ich wohne, fast direkt vor unserer Haustür, gibt es einen kleinen Kinderspielplatz. Einen sehr kleinen. Aber er ist der zentrale Treffpunkt für alle Kinder aus der Nachbarschaft, die Kleinsten wie auch die Älteren. Und das war und ist gar kein Problem: Die Älteren nehmen Rücksicht, räumen sofort die Schaukel, wenn Kleine auf den Spielplatz kommen, helfen ihnen sogar rauf und schubsen sie an.

Dann, eines Tages, war ein grünes Schild an der Umzäunung angebracht: „Kinderspielplatz“, darunter: „für Kinder unter sechs Jahren“.

Schon am nächsten Tag hatte jemand das „unter sechs Jahren“ weggekratzt, irgendwann stand nur noch „Inderspielplatz“ da, dann wurden sogar wieder Buchstaben hinzugefügt, seitdem ist es ein „Blindenspielplatz“. Kreativ, finde ich.

Jaaa, es ist Sachbeschädigung, und nein, so etwas tut man nicht. Aber ich musste doch schmunzeln angesichts dieser kleinen Spielplatzrebellion.

Denn: Ist es wirklich nötig, auch dort nach Schema F zu handeln und etwas ganz offiziell zu regeln,
  • wo ungeschriebene Regeln gelten 
  • wo sich gutes Miteinander ganz von selbst etabliert hat 
  • wo niemand die anderen in ihrer Freiheit einschränken muss, weil alle mit ihrer Freiheit umzugehen wissen?
„Seht zu, dass diese eure Freiheit für die Schwachen nicht zum Anstoß wird!“, schreibt der Apostel Paulus in ganz anderem Zusammenhang an seine Gemeinde in Korinth (1. Kor 8,9). Wo sich alle ganz von selbst an diese einfache Regel halten, da braucht es kein Schild, das den einen etwas erlaubt und es den anderen verbietet.

UPDATE .... das (vorläufige) Ende vom Lied: Die Rebellion schnöde niedergeschlagen. :-(
 ... abgesehen davon, dass der Fußballspieler auf dem Schild einmal durchgestrichen war :-)

Freitag, 9. März 2012

Nur positiv denken?

Richtig viel Geld verdienen; den Traumpartner fürs Leben finden; erfolgreich und glücklich sein: nichts leichter als das. Positiv denken lautet die Zauberformel.

Mit 15, 16 fand ich das auch reizvoll. Ein paar Bücher habe ich gelesen, Methoden übernommen – und nein, es war nicht alles schlecht daran. Die Entspannungstechnik des autogenen Trainings hat mir geholfen. Und zum anderen habe ich wieder öfter in die Bibel geschaut. – Warum? Weil viele Positivdenker christliche und biblische Traditionen aufgenommen haben. Wenn auch ziemlich einseitig. Denn letztlich sind für sie diese Traditionen nichts anderes als Techniken, das Unterbewusstsein zu steuern; so dass es quasi automatisch ein erfolgreiches Leben herbeiführt. Der Glaube wird so aber zu einer Methode degradiert, zu einem Werkzeug, um bestimmte Ziele zu erreichen.

Wie sehr diese Sichtweise den Reichtum der biblischen Geschichten einschränkt, das habe ich erst später erkannt. Und auch, welche Gefahr darin lauert. Man könnte nämlich meinen: Wer leidet, wer scheitert, wer krank und arm und schwach ist, denkt und glaubt halt falsch – ist also selbst schuld daran.

Heute meine ich: mit Positivem Denken lässt sich das Lebensglück genauso wenig herbeizwingen, wie sich das Lebensleid vermeiden oder verkraften lässt. „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt“, so reagierte der biblische Hiob, als ihm die „Hiobs-Botschaften“ überbracht wurden. Und Jesus betete vor seiner Verhaftung: „Vater, nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“

Hiob und Jesus haben gewusst: Nicht alle meine Wünsche gehen in Erfüllung, wenn ich nur richtig glaube oder bete. Diese Glaubenstradition verhilft mir zu einem gelassenen Umgang mit den Wechselbädern des Lebens. Hanns Dieter Hüsch hat diese Glaubensgelassenheit so beschrieben:

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,
Gott nahm in seine Hände meine Zeit:
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Dann kann ich mir immer noch unverkrampft ein Ziel vornehmen und darauf hinarbeiten – auch mit ein paar erprobten Techniken, mich selbst zu motivieren.

[Dieser Beitrag lief am 9. März 2012 in SR2 und 3 als "Innehalten".]

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Sterben ist Scheiße.

Heute Morgen erfuhr ich eher zufällig, nebenbei, vom Tod einer 19-Jährigen aus meinem Wohnort. Völlig unerwartet, die Ursache eine Gehirnblutung. So jung, so kurz vor Weihnachten, das schwang in der Schilderung mit.

Aber ich denke mir: Welche Rolle spielt das Alter? Klar, wir meinen: Sie hatte ihr Leben noch vor sich, es hatte noch ein "erfülltes" werden können. Sie hatte doch vielleicht gerade erst die Ausbildung beendet, steckte vielleicht gerade erst in der Abi-Vorbereitung. Doch es gibt Menschen, die noch viel jünger sterben. Und andere sterben später. Bei keinem kann per se vorausgesetzt werden, dass das "erfüllte" Leben mit seiner Dauer zusammenhängt.

Und welche Rolle spielt die Kirchenjahreszeit? Machen vier Wochen früher oder später einen solchen Tod weniger schlimm? Das Positive an diesem Empfinden ist, dass es offenbar tatsächlich noch ein Gespür für "heilige Zeiten" gibt. In diesen Tagen und Wochen kann nicht sein, was nicht sein darf: Es muss harmonisch zugehen, gesegnet.

Ich will es ganz einfach sagen, verzeiht mir das Wort: Sterben ist Scheiße. Immer und grundsätzlich. Egal, in welchem Alter, egal, zu welcher Zeit. Selbst wenn es eine Situation ist, in der die meisten den Tod als Erlösung ansehen - dann war es eben vorher Scheiße.

Spezifisch für den christlichen Glauben ist es, dass wir davon ausgehen, dass Gott selbst diese Scheiße durchlitten hat, durchleiden wollte. In Jesus Christus ging Gott selbst ans Kreuz und starb einen qualvollen Tod. Es war nicht der qualvollste generell. Manchmal leiden Menschen über Monate und Jahre, bis sie endlich sterben können. Aber viele Tode sind - nach dem, was wir als noch nicht Betroffene darüber sagen können - "leichter" als der am Kreuz. Dies war Jesu Leiden, Sterben und Tod, und es war genauso Scheiße. Aber weil uns Gott darin zur Seite getreten ist, stinkt sie immerhin nicht mehr so sehr.

Donnerstag, 11. August 2011

Wer Binsenweisheiten mag, der werfe den ersten Stein

Mir war die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin ja schon immer zu simpel. Jedenfalls das, was man gemeinhin davon mitnimmt.

Wie muss ich mir das vorstellen? Da wird eine Frau zu Jesus gebracht, die in flagranti ertappt wurde. Auf Ehebruch stand nach mosaischem Gesetz die Todesstrafe. Jesus reagiert mit dem Satz „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ - und alle dampfen sie ab, einer nach dem anderen, weil jeder auf einmal denkt: „He, stimmt, darüber hab ich noch nie nachgedacht“?

Also mir ist das zu simpel. Dass jeder irgendwas auf dem Kerbholz hat, dass jeder irgendwann einmal etwas Ungutes, Unrechtes getan hat, dass keiner perfekt ist - das ist doch eine Binsenweisheit. Das ist doch nicht so aushebelnd, überraschend, umstürzlerisch, wie wir es gerne deuten. Wäre nur einer mit etwas Grips und Schlagfertigkeit dabei gewesen, hätte er gesagt: Natürlich ist keiner schuldlos, aber es geht doch um die Schwere der Schuld. Es geht doch darum, wie schlimm das, was einer angestellt hat, für die menschliche Gemeinschaft ist - und ob und wie jemand dafür bestraft werden muss. Es mag ja sein, dass es im Himmelreich anders zugeht - aber hier auf Erden, in der noch unerlösten Welt, da brauchen wir doch Gesetze, um unser Zusammenleben zu regeln.

Da wirkt Jesu Satz doch ein bisschen so, wie wenn man ein kleines Kind in Schutz nimmt: Och, komm, sei nicht so streng mit ihr - denk doch nur mal, was du als Kind so alles angestellt hast.

Die Geschichte steht nur im Johannesevangelium, nicht in den anderen, und selbst dort ist sie erst später eingefügt worden, wie wir heute wissen. Ich glaube, es geht darin gar nicht vorrangig um die Schuld der Menge, um die Sündhaftigkeit aller Menschen - sondern es geht darum, wer Jesus eigentlich ist! Wer diese Geschichte aufgeschrieben hat, der wollte vor allem etwas über Jesus sagen. Und zwar wollte er deutlich machen: Jesus ist der einzig tatsächlich Schuldlose. Und darum ist er der einzige, der das Recht gehabt hätte, tatsächlich einen Stein zu werfen! Deshalb aber ist nicht der bekannte Satz vom „ersten Stein“ das Wichtigste an dieser Geschichte, sondern der Schluss, wo Jesus sagt: „So verdamme ICH dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“

Es geht um die Gnade Gottes und die Kraft der Vergebung, die einen neuen Anfang möglich macht.
Und das ist wahrlich keine Binsenweisheit.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Form als Rundfunkandacht für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über das entsprechende Podcast-Angebot angehört werden.

Mittwoch, 10. August 2011

Das große Schutzgebet

UmbrellaImage by ♥ Unlimited via Flickr„Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“
So lauten die ersten beiden Verse des 91. Psalms in der Bibel. Ich bin auf diesen Psalm erstmals gestoßen worden durch ein Buch, das ich als 15- oder 16-Jähriger gelesen habe. Als „Das große Schutzgebet“ wurde er in dem Buch vorgestellt. Gott behütet mich vor den Unbilden der Natur und den Nachstellungen missgünstiger Menschen.
In einer bilderreichen Sprache kommt Gottes schützendes Handeln zum Ausdruck.
Wie ein Schirm ist er, ein Unwetter kann mir nichts anhaben.
Wie ein Schatten ist er, so dass ich der stechenden Sonne nicht ausgeliefert bin.
Wie eine Burg ist er, deren Mauern Menschen nicht überwinden können, die mir Übles wollen.
Meine Zuversicht ziehe ich aus ihm; meine Hoffnung setze ich in ihn.
Bald konnte ich die ersten beiden Verse auswendig:
„Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“
Fortan begleiteten mich diese Worte; immer einmal wieder habe ich sie mir in Erinnerung gerufen. Es sind Worte, die Kraft geben und Mut, gerade in schwierigen Zeiten. Worte, die ausdrücken: Ich stehe niemals allein, ich halte mich zu Gott, und Gott hält sich zu mir.
Zwei Bibelverse wie ein doppeltes Polster - gegen alle Kälte und Härte, die einem im Leben begegnen mögen.
Was gibt Ihnen Halt im Leben? Welche Lebensumstände, welche Beziehungen, welche Worte?
Woran orientieren Sie sich?
Wohin kehren Sie immer wieder zurück?
Wo finden Sie Ihre äußere und innere Heimat?
Zu meiner inneren Heimat, die ich überall hin mitnehmen kann, gehören jedenfalls diese Worte:
„Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“
Dieser Beitrag ist in gekürzter Form als Rundfunkandacht für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über das entsprechende Podcast-Angebot angehört werden.

Dienstag, 9. August 2011

Verbotssystem

PImage by alexvoigt via FlickrFür manche Leute ist Religion ja nur ein riesiges Verbotssystem. Du sollst dies nicht tun, du sollst jenes lassen. Und das auch noch gefolgt von Strafandrohungen; da denken die sich: „Pah, besser lebt sich’s ohne; da kann ich meinen Spaß haben, ohne mir `nen Kopf zu machen.“

Einmal abgesehen davon, dass sich viele Ge- und Verbote, die sich in der Bibel finden, gar nicht mehr auf die heutige Zeit und völlig veränderte Situation übertragen lassen: Seit ich gerade zwei Monate Elternzeit hinter mich gebracht habe, bringe ich diesen regelrechten Verbotslisten vor allem im Alten Testament noch einmal mehr Verständnis entgegen.

Du sollst nicht mit dem Essen herummatschen.
Hör auf, in der Nase zu bohren.
Mach nicht so viel Unsinn.
Du sollst deinem kleinen Bruder nicht immer alles wegnehmen.
Du sollst nicht „blöder Papa“ sagen.
Du sollst nicht mit Spielzeug am Flachbildfernseher herumkratzen.

Manchmal hat man das Gefühl, über die eigenen Lippen kommt in einer Tour nichts anderes mehr als „Nein, nicht, hör auf, lass das sein“. Man kann sich den Mund fusselig reden, und doch bewirkt es oft rein gar nichts.

Und da wird es doch klar wie Kloßbrühe: Auch Gott redet sich den Mund fusselig, weil ihm etwas an uns liegt. Denn das ist doch das Dilemma: auf der einen Seite diese unendliche Liebe zu den eigenen Kindern, denen man nur das Beste wünscht, die sich frei entfalten und gestalten sollen ... und auf der anderen Seite zugleich die Verzweiflung darüber, ihnen so viel verbieten zu müssen – um sie zu schützen, und um sie gemeinschaftsfähig zu machen.

„Aber wir, wir können doch selbst entscheiden; wir wissen, was wir tun; wir sind doch keine unmündigen Kinder!“, höre ich die Kritiker sagen.

Wenn ich mich in der Welt so umsehe, möchte ich sagen:
Doch, oft genug sind wir genau das. Wie gut, dass wir uns da an ein paar Leitlinien halten können.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Form als Rundfunkandacht für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über das entsprechende Podcast-Angebot angehört werden.

Freitag, 5. August 2011

Eine kleine persönliche Elternzeit-Bilanz

Hinter mir liegen zwei Monate Elternzeit. Wie schon bei unserer Tochter habe ich mir auch bei unserem Sohn diese Zeit gegönnt - wenigstens zwei Monate, die beiden Partnermonate, um die sich der Elterngeldbezug verlängern lässt.

Ich wollte die Chance nutzen, meine Kinder nicht nur eine Stunde morgens und abends zu erleben - und am Wochenende, das dann unbedingt mit Schönem angefüllt sein muss. Auch bei unserem Jüngsten durfte ich mitverfolgen, wie er sich aus der Horizontalen in die Vertikale orientiert hat, wie er gelernt hat, sich fortzubewegen, sich an Möbeln hochzuziehen, wie er wacklig da steht, umkippt und von mir aufgefangen wird.

Oft bin ich in den vergangenen Wochen gefragt worden: "Und? Wie ist es?", beziehungsweise: "Wie war's?" Ich male dann gar nicht die reine Idylle aus, indem ich sage: Fantastisch, ganz wunderbar, die schönste Zeit meines Lebens. Sondern ich sage: Himmel und Hölle liegen dicht beieinander ...
Denn dass der Papa vom einen auf den andern Tag so viel zu Hause ist, das sorgt schon für Unruhe. Das bringt den gewohnten Rhythmus durcheinander, auch die Kinder verhalten sich anders, wollen die Situation für sich ausnutzen.

Aber auch abgesehen davon gehören das Schöne und das Schwierige doch eben beides dazu, zum Gesamtpaket des Lebens, auch des Familienlebens: Wie die große Schwester sich liebevoll um den kleinen Bruder kümmert, mit ihm spielt und kuschelt - und wie sie dann doch auch wieder die Eifersucht beutelt und sich in Wut und Zorn entlädt. Lachen und Weinen, Ruhiges und Lautes, Kuscheln und Schreien - man bekommt auch mit, was es wohl bedeutet, wenn sich ein Elternteil allein täglich dieser Aufgabe zu stellen hat.
Aber das sind dann doch Erfahrungen, die ich nicht missen möchte, auch oder gerade, weil sie mich auch an meine Grenzen bringen, positiv wie negativ: die oft so kitschig beschworenen Kinderaugen, die mich wirklich den Himmel spüren lassen, wenn ihr Lachen mich meint. Und der Kindermund, der so hässlich trotzig-verzogen sein kann.

Unvermeidlich stellt sich das Gefühl ein: Es lässt sich so viel falsch machen in der Erziehung. In jeder Situation gelassen und angemessen zu reagieren, wer kann das schon? Ich glaube nun: Erziehen, das heißt vor allem auch sich selbst erziehen, an sich selbst arbeiten, die eigene Vorgehensweise immer wieder in Frage stellen und sich korrigieren, sein Bestes geben - und nicht daran verzweifeln, dass es nie genug, nie wirklich richtig ist. Sondern vertrauen.

Und ich muss an die Weisheit vom alten Kirchenvater Augustinus denken: "Liebe - und tu, was du willst". Denn wenn du wirklich liebst, und wenn du dir dieser Liebe stets bewusst bleibst, dann wird sich dein Wollen und Handeln daran ausrichten. Auch für die Erziehung nicht der schlechteste Ratschlag.

Freitag, 25. Februar 2011

Tauferinnerung

Das Fotoalbum ist 37 Jahre alt. Einige Fotos rutschen heraus, als ich es hervorziehe, weil sich die Fotoecken gelöst haben. Fast alle Fotos sind eher bescheidener Qualität, haben ein ziemlich kleines Format, und die Farben haben sich verändert. Aber doch, da ist sie, die Taufgesellschaft von damals, Eltern, Großeltern, Paten, Freunde und Verwandte, der Pfarrer mit dabei – und mittendrin ich selbst, ein kleiner Wurm, im weißen Taufkleid, mal bei Mama, mal bei der Patentante auf dem Arm.

Was verbinden Sie mit Ihrer Taufe, wenn Sie denn getauft sind? Haben Sie sich jemals erkundigt nach Ihrem Tauftag, und wie er anderen in Erinnerung geblieben ist? Ist Ihnen Ihr Taufspruch vielleicht zu einem lebenslangen Rückhalt geworden?

Martin Luther coloured drawingImage via Wikipedia
Für den Reformator Martin Luther war das ganze Leben eines Christenmenschen „nichts anderes als der Weg und die Rückkehr zur Taufe“. Sie sei „ein täglich Kleid der Christen“, und er krieche jeden Tag neu wieder in seine Taufe hinein.

Denn täglich verfehlen wir unsere Bestimmung, schaffen wir es nicht, so zu leben, wie es eigentlich gottgemäß wäre. Darum ist es nötig, so Luther, „Buße“ zu tun, und das heißt für ihn „nichts anderes, denn dass wir zu Kraft und Glaube der Taufe zurückkehren, daraus wir gefallen waren, und wiederum uns wenden zu der göttlichen Verheißung, die uns damals getan ist“. Was uns Gott in der Taufe verheißen hat, das bleibt nämlich ewig gültig, und er wird uns stets „mit ausgestreckter Hand“ wieder aufnehmen.
So soll also das ganze Leben eines Christenmenschen Buße, und das heißt: Taufgedächtnis sein.

Wie fängt man das an? Vielleicht damit, die alten Fotos einmal wieder hervorzuholen. Aber dann dabei nicht stehen bleiben. Denn Tauferinnerung, Taufgedächtnis im Sinne Luthers ist nichts, was man einmal macht und damit gut. So schön es ist zu wissen, wie es damals war am Tauftag… Das Entscheidende ist dies: zu wissen, was mir in der Taufe zugesagt wurde, dass Gott sich mir gnädig zugewandt hat. Und eben dies zur Grundhaltung im täglichen Leben zu machen.

Also, denken Sie dran: Sie sind getauft.
Ach, sind Sie nicht? Na, was nicht ist, kann ja noch werden.
Zumal 2011, im Jahr der Taufe.

Dieser Beitrag ist als Rundfunkandacht für SR2 und SR3 "Innehalten" sowie in gekürzter Form für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über die jeweiligen Podcast-Angebote angehört werden.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Ich bin getauft!

„Das wird schon wieder.“ – „Tschakaaa – du schaffst es!“ – „Ich bin ruhig, ganz ruhig, mein Atem geht tief und gleichmäßig...“ – „Keine Panik!“ – „Ich bin so schön, ich bin so toll, ich bin der Anton aus Tirol.“

Wie machen Sie das, wenn Sie eine Selbstversicherung brauchen? Wenn eine schwere Aufgabe bevorsteht, eine Prüfung? Oder wenn Sie das Gefühl haben, es geht gerade alles daneben, Ihr Leben gerät neben die Spur? Wenn Sie den Glauben an sich selbst zu verlieren drohen?

Der Reformator Martin Luther soll in solchen Situationen mit Kreide vor sich auf den Tisch die drei Worte geschrieben haben: „Ich bin getauft!“ Sie waren ihm ein Schutzschild gegen böswilliges Missverstehen und so manche Anfeindung.

„Ich bin getauft!“ Ganz gleich, ob uns da eine Legende oder historische Wahrheit überliefert ist – die Gewissheit, getauft zu sein, hat Luther zeit seines Lebens Kraft gegeben und Hoffnung, dass er von Gott nicht alleine gelassen wird. Was auch immer in seinem Leben passieren würde, Gottes Versprechen, bei ihm zu sein, würde gelten. Deshalb verstand Luther die Taufe auch als den Beginn und das Zentrum des christlichen Lebens.

Ich bin getauft. Damit sage ich: Ich habe einen Vater im Himmel. Ich darf jederzeit zu ihm kommen. Das gilt, auch wenn ich versagt habe. Das gilt, auch wenn ich lange Zeit nichts von ihm habe wissen wollen. Keine Schuld hat mehr so viel Macht, dass sie mir die Heimkehr zu Gott versperren könnte. Kein anderer als Gott selbst hat mir das Leben gegeben und will, dass ich lebe. Die Taufe macht das Ja Gottes sichtbar. Es kann Menschen zu Optimisten machen, ihnen ein großes Zutrauen schenken, und Stärke, wenn alles zum Verzweifeln scheint.

Wenn die Angst übermächtig wird, mich zu lähmen droht: Ich bin getauft!
Wenn die Welt voll Teufel scheint: Ich bin getauft!
Wenn Schmerz, Krankheit, Tod mir zu schaffen machen:
Ich bin getauft!
Wenn mein kleiner Glaube nicht ausreicht, um den Zweifel zu stillen: Ich bin getauft!
Das bleibt. Das führt mich den Weg, durch Dunkel und Licht, und gibt mir Hoffnung und Zuversicht für ein Leben, das gelingen wird.

Dieser Beitrag ist als Rundfunkandacht für SR2 und SR3 "Innehalten" sowie in gekürzter Form für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über die jeweiligen Podcast-Angebote angehört werden.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Macht das Gute stark!

Die häufigste Barriere gegen neue Ideen ist Angst. Angst davor, sich auf unsicheres Terrain zu begeben, oder Angst, abgelehnt zu werden. Verpackt ist sie in Sätzen wie: „Das haben wir noch nie so gemacht!“ „Das habe ich schon immer so gemacht!“ „Da könnte ja jeder kommen!“ „Dafür ist es jetzt zu spät!“

Diese klassischen Abwehr- und Schutzreaktionen sind einfach zu erklären: Jede neue Idee ist eine Aggression. Es ist leicht, sich persönlich angegriffen zu fühlen: War es denn schlecht, wie ich es bisher gemacht habe?

Dieses Reaktionsmuster macht uns den Umgang miteinander schwer. Es hemmt das vertrauensvolle Gespräch, weil unausgesprochene Verdächtigungen mitschwingen. Es blockiert innere Reifungsprozesse. Es verhindert ein flexibles Handeln, wenn sich neue Herausforderungen auftun.

Wie zum Beispiel in der Gemeinde des Apostels Paulus in Ephesus. Fast 2000 Jahre ist es her, dass diese sich mit Fragen nach ihrer Zukunft herumschlagen musste: Wer soll wofür zuständig sein? Wer setzt welche Schwerpunkte? Wie soll Gemeindeleitung zukünftig aussehen? Statt die Sache mutig anzugehen, hatte sich ein „Geist der Furcht“ breit gemacht.

Da denkt man doch gleich an unsere Kirche und unsere Gemeinden heute. Ob wir als Kirche Jesu Christi auf dem richtigen Weg sind -, in eine Zukunft, in den wir weniger Geld einnehmen und weniger Mitglieder haben werden?

Gegen den „Geist der Furcht“ erinnert der Apostel Paulus uns – wie seine Gemeinde damals - an das, was uns geschenkt ist: Gottes Geist – und mit ihm Kraft, Liebe und Besonnenheit (2. Tim 1, 7-10).  Das löscht die Angst nicht aus, aber sie kann uns nicht lähmen, denn wir trauen Gott stets noch mehr zu.

Also: Wir müssen uns nicht von Angst lähmen lassen, nicht wie gebannt auf unsere eventuellen Defizite starren, sondern wir können das Gute stark machen. Machen wir das Beste aus den Möglichkeiten, die die Situation bietet. Und machen wir uns gegenseitig Mut, Mut zum Vertrauen auf den Weg Gottes mit uns und mit seiner Kirche.

In welchem Lebensbereich auch immer: Bewahrt euch den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Dieser Beitrag ist als Rundfunkandacht für SR2 und SR3 "Innehalten" sowie in gekürzter Form für Rockland Radio "Feels Like Heaven" erschienen und kann über die entsprechenden Podcast-Angebote angehört werden.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Menschliche Präparate scheibchenweise zu kaufen

Es ist schon mehr als ein Jahr her, dass ich kirchliche Stellungnahmen zur "Körperwelten"-Ausstellung von Gunther von Hagens zusammengestellt und später noch um einen weiteren Aspekt ergänzt habe. Nur der Vollständigkeit halber trage ich deshalb heute hier ins Blog ein, dass von Hagens jetzt kurz vor der Eröffnung eines Online-Shops zum Verkauf seiner Plastinate steht. Das hat die - aus meiner Sicht etwas zu reflexartige - heftige Kritik seitens der badischen Bischöfe hervorgerufen. Von Hagens (strafbaren) "Leichenhandel" vorzuwerfen, erscheint mir in diesem Fall überzogen. Er selbst sieht die Plastinate ohnehin nur als "anatomische Präparate" an.

Formal handelt er in diesem Sinn völlig korrekt, weil "die in unserer Produktpalette enthaltenen originalen anatomischen Lehrpräparate menschlichen Ursprungs [...] nur für medizinische Ausbildungs- und Forschungszwecke verwendet werden [dürfen] und ausschließlich für qualifizierte Nutzer [...] verfügbar [sind]". Qualifizierte Nutzer sind z.B. "Lehrinstitutionen wie Universitäten, Krankenhäuser, Schulen und Museen, sowie praktische Ärzte, Hochschullehrer, Lehrbeauftragte sowie andere Personen, soweit sie mit Ausführung von Forschungsvorhaben befasst sind".

Damals äußerte ich im Kommentarbereich die Vermutung, von Hagens bemühe sich zu vermeiden, irgendwann der Bestattungspflicht nachkommen zu müssen und lege deshalb deshalb solchen Wert auf die Feststellung, Plastinate seien keine Leichen mehr, sondern anatomische Präparate. Deshalb auch dieses Gutachten, in dem sich von Hagens bescheinigen ließ:

"Das Ganzkörperplastinat ist in Bezug auf die Individualität in hohem Maße verfremdet. Da hinzu kommt, dass Plastinate eine lange Überlebenszeit haben, ihre direkten „Angehörigen“ mit großer Wahrscheinlichkeit überdauern werden, entfällt die Voraussetzung für eine Bestattungsabsicht. Plastinate, Ganzkörperplastinate sind in Bezug auf eine Bestattungsabsicht generell Skeletten und anderen anatomischen Präparaten gleichzusetzen. Damit erübrigt sich auch eine Bestattungspflicht."

Die Argumentation, so wie ich sie verstehe, geht davon aus, dass eine Bestattungspflicht nur aufgrund einer Bestattungsabsicht von Angehörigen besteht. Das greift meines Erachtens zu kurz. In Bezug auf die Totenruhe ist als Rechtsgut nicht nur das Pietätsgefühl der Angehörigen, sondern auch das der Gesellschaft zu schützen; außerdem das postmortale Persönlichkeitsrecht. Insofern stellt sich doch die Frage, ob es "erlaubt" sein kann, die Bestattung der Leichen dauerhaft aufzuschieben, indem man ihre Verwendung zu wissenschaftlichen Zwecken immer wieder neu begründet bzw. verlängert, z.B. eben durch Weiterverkauf an andere Einrichtungen. Ob es eine zeitliche "Obergrenze" für die Verwendung gibt, scheint mir rechtlich nicht eindeutig geklärt zu sein (aber ich bin ja kein Jurist ...).

Ebenfalls nicht ganz klar ist mir, ab wann, d.h., unter welchen Voraussetzungen das Schutzgut "Pietätsgefühl" entfällt. Wenn die Einwilligung des Verstorbenen vorliegt? Wenn die Leiche bei der Präparation so verfremdet wurde, dass ihre Individualität nicht mehr erkennbar ist? Wenn es keine Angehörigen (mehr) gibt?

Je öfter ich mich mit dem Thema befasse, desto weniger erschließt sich mir, worin hier eigentlich der "Tabubruch" bestehen soll, der in kritischen Stellungnahmen so oft beschworen, aber selten begründet oder weiter ausgeführt wird. Was bleibt, ist ein ungutes Bauchgefühl (was nicht entscheidend sein kann), der Vorwurf der Kommerzialisierung (der auch viele andere Bereiche trifft) und die nicht ganz ausgeräumten Verdachtsmomente hinsichtlich der Herkunft der Leichen (was aber über die ethische Positionierung bei "korrektem" Verlauf auch nichts aussagt).

Und: Ich mag den von Hagens nicht.

Update, 23.10.2010: Amtsbruder Ralf Peter Reimann von der rheinischen Landeskirche hat zwischenzeitlich das Thema für evangelisch.de kommentiert. Hauptargument seiner Kritik ist im Anschluss an den badischen Landesbischof Fischer, dass "nicht nur den Lebenden, sondern auch den Toten Menschenwürde zukommt". Freilich spart er die Diskussion darüber aus, warum die Plastinate nicht im von Hagens'schen Sinne nur noch anatomische Präparate sein sollen, sondern "mehr". Man wird kaum behaupten können, dass sozusagen allem, was einmal Mensch war, auch nach dem Tod grundsätzlich noch Menschenwürde zukommt. Wie wäre es dann etwa mit der Asche nach der Kremierung? Wo ist die Grenze? Das o.g. Gutachten argumentiert mit der Individualität, der Erkennbarkeit. Ich frage mich, ob sich nicht die Menschenwürde, so sie denn über den Tod hinaus gelten soll, von der Gebundenheit an das Körperliche löst - und nicht vielmehr der Person zukommt, wie sie im Gedenken, in der Erinnerung, quasi als Idee fortbesteht. Dann verletzte etwas, was mit der Leiche geschieht, nur dann die Menschenwürde, insofern es dieses Andenken, also die Integrität der Person post mortem beschädigte.

Oder anders: Wenn wir die Menschenwürde aus der Gottebenbildlichkeit begründen - kann sie dann überhaupt den Toten zukommen? Oder nicht nur den Lebenden, geschaffen als Mann und Frau? Aber verletzt dann vielleicht eine "Totenschändung", was immer man darunter fassen mag, zumindest die Menschenwürde der noch Lebenden? Warum? Warum nicht? Reimann argumentiert im letzten Absatz in eben dieser Richtung: "Die Ehrfurcht vor Toten entspringt jedoch der Achtung vor den Lebenden und dem Leben." Und das erinnert mich wieder an mein Argument von der Bestattung der Toten als einem der Werke der Barmherzigkeit.

Freitag, 24. September 2010

Vollbildmodus

„Der Vollbildmodus lässt sich nicht aktivieren.“
Oh Mann.
Ich ärgere mich, dass wieder etwas nicht so funktioniert am Computer, wie ich es haben will. Und ein bisschen ärgere ich mich über den gestelzten, wenig hilfreichen Satz. Er spukt mir im Kopf herum, und ich denke: Dass der Vollbildmodus sich nicht aktivieren lässt, das kenne ich auch aus anderen Zusammenhängen.

Wie oft ist es schwierig, den Blick aufs Ganze zu bekommen.
Wie oft schauen wir wie durch ein Fenster auf ein Thema.
Wie oft haben wir ein eingeschränktes Blickfeld, fällt es uns schwer, die Perspektive zu wechseln, um eine Sache auch von der anderen Seite zu betrachten.

Ob es um die Integrationsdebatte geht, oder um die Frage, ob und wann und in welchem Umfang Präimplantationsdiagnostik ethisch erlaubt ist, oder ob wir Sterbehilfe leisten dürfen, oder ob wir Pflanzen, Tiere, Menschen genetisch verändern dürfen, oder gar, ob der eine Glaube wahrer ist als der andere, immer gilt: "Der Vollbildmodus lässt sich nicht aktivieren."

Unser Wissen ist Stückwerk, wir sehen nur ein dunkles Bild durch einen
Spiegel, schrieb schon der Apostel Paulus (1. Kor 13,12a). Ich will deshalb versuchen,
mich an eine Regel zu halten: Fälle keine vorschnellen Urteile! Lehne nicht von vorneherein eine wissenschaftliche Vorgehensweise, eine Behandlungsmethode, eine Gruppe von Menschen ab, nur weil du eine schlechte Erfahrung gemacht hast, dir jemand anders etwas Schlechtes erzählt hat, oder du von einem Misserfolg gelesen hast.

Nicht immer gelingt es mir, mich an die Regel zu halten. Ist wohl eine menschliche Schwäche. Aber ich will es versuchen. Mir bewusst zu sein: Irgendwie fehlt es doch immer an Details; es gibt noch mehr Information.
Noch mehr zu sehen.
Noch mehr zu erfahren.
Noch mehr zu wissen.

"Der Vollbildmodus lässt sich nicht aktivieren". Am Computer gehe ich in diesem Fall selbstverständlich davon aus, dass ich noch mehr sehen könnte, aber die Umstände es mir gerade nicht erlauben. Warum gehen wir ansonsten so oft und vor allem so schnell vom Gegenteil aus? Dass wir genug sehen, um dies abzulehnen, jenes aber anzunehmen? Etwas mehr Selbstvorbehalt, öfter mal einen zweiten Blick – das würde ich mir wünschen.

Als Christ bin ich der guten Hoffnung, dass wir einmal das Vollkommene schauen werden. Wie Paulus sagt: Jetzt erkenne ich stückweise, die Zeit aber wird kommen, in der ich völlig erkennen werde, wie auch ich völlig erkannt worden bin (1. Kor 13,12b).

Einmal wird Gott alles in allem sein (1. Kor 15,28).
Dann ist der Vollbildmodus aktiviert.

[Dieser Beitrag ist in gekürzter Form auch als Rundfunkandacht in der Reihe "Feels Like Heaven" bei Rockland Radio gelaufen. Anhören! (mp3-Datei)]

Samstag, 2. Januar 2010

Das Neue Jahr ist schon fünf Wochen alt!

Time SelectorImage by Telstar Logistics via Flickr
Wie die Zeit vergeht: Das Neue Jahr ist schon wieder fünf Wochen alt.

Nein, keine Angst, Sie haben es nicht übertrieben beim Ausschlafen des Silvesterrausches. Natürlich meine ich nicht das weltliche Jahr, das am 1. Januar beginnt – sondern das Kirchenjahr. Das beginnt am 1. Adventssonntag, und der ist schon wieder fast fünf Wochen her.

Die Adventszeit ist vor allem eine Zeit der Erwartung, der Hoffnung und der Sehnsucht. Damit beginnen alle christlichen Feste und deshalb auch das ganze Kirchenjahr. Die Ankunft Gottes in der Welt wird erwartet. Er wird geboren als Mensch in Jesus Christus. Das Dasein jedes einzelnen Menschen aber beginnt nicht erst mit der Geburt, sondern damit, dass er erwartet wird.

Haben das weltliche Jahr und das Kirchenjahr aber darum gar nichts miteinander zu tun? Ich meine, das Gegenteil ist der Fall. Dass das Kirchenjahr vor dem säkularen Jahr beginnt, verstehe ich als ein Symbol, das besagt: Gottes Zeit kommt vor der Menschenzeit, seine Zeitrechnung geht der unseren voraus.

Genau das ist Grund zu Hoffnung und Zuversicht im Jahr 2010: Gott ist schon da, wenn und wohin wir erst noch kommen – und was auf uns auch zukommen mag.


[Dieser Beitrag ist auch als Rundfunkandacht im ProtCast Pfalz zum Hören erschienen]

Freitag, 1. Januar 2010

2010: Das Jahr eines neuen Gottvertrauens

Heart CandleImage by Bob.Fornal via Flickr
Ein Mensch hat Angst. Er weiß, dass er sich bald von seinen Freunden verabschieden muss. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Dann steht ihm ein Leidensweg bevor, an dessen Ende der Tod wartet. Dennoch ist er es, der seinen Freunden Mut macht: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14, 1), sagt Jesus zu seinen Jüngern. 

Diesen Zuspruch haben die Kirchen als Jahreslosung über das Jahr 2010 gestellt. Er leitet uns dazu an, in allem, was auf uns zukommt – mögen es auch Verluste und Abschiede sein – das Vertrauen zu bewahren, dass Gott es gut mit uns meint. In Jesus Christus ist er uns nahe gekommen und hat uns gezeigt, wie viel wir ihm bedeuten: In Gottes Haus sind viele Wohnungen, so drückt Jesus es aus.  Das heißt doch, in anderen Worten: Bei unserem himmlischen Vater ist viel Platz. Bei Gott rennen wir offene Türen ein.

Diese Hoffnung macht ängstliche Herzen fest. Damit können wir alle Herausforderungen angehen, die das Leben uns bringt. Die Verheißung ist unwiderruflich – denn es ist Gott selbst, der sie durch seinen Sohn Jesus Christus in die Welt gebracht hat.

Also: Fasst euch ein Herz. Glaubt an Gott. Macht 2010 zum Jahr eines neuen Gottvertrauens.

[Dieser Beitrag ist auch als Rundfunkandacht im ProtCast Pfalz zum Hören erschienen]