Stell dir vor, du meldest dich für eine Tagung an, ohne zu wissen, was dort eigentlich passieren wird.
Stell dir vor, das liegt nicht daran, dass du dich nicht ausreichend informiert hast, sondern weil es die Organisatoren selbst nicht wissen.
Stell dir vor, das funktioniert trotzdem: Es wird hochmotiviert miteinander gearbeitet und diskutiert, dein Kopf ist voller neuer Ideen und Gedanken, bislang Unstrukturiertes gewinnt plötzlich Form - und darüber hinaus erlebst du noch eine tolle Gemeinschaft von lauter interessanten Menschen.
Das ist Barcamp. Eine Tagungsform, die ganz auf die Kompetenzen, das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzt. Am Anfang eines jeden Tages steht die Sessionplanung; diejenigen Teilnehmer, die einen Inhalt präsentieren oder sich darüber austauschen wollen, stellen ihr Thema dem Plenum kurz vor, fragen das Interesse ab und belegen dann damit einen der 45-minütigen Session Slots in einem der zur Verfügung stehenden Räume. Und dann? Ja, dann geht's zur Sache.
Am vergangenen Wochenende, vom 6. bis 8. Mai 2011, fand in Bornheim das 2. Barcamp "Kirche im Web 2.0" statt, ausgerichtet von evangelisch.de. Ich selbst war zum ersten Mal bei einem solchen Barcamp dabei. In den Wochen und Tagen zuvor war die Vorfreude täglich gestiegen - mehr, als ich dies von anderen Tagungen kenne. Die möglichen Sessions, die sich schon im Vorfeld abzeichneten, der Vorab-Austausch auf Twitter, Facebook und im Forum von kirche20.mixxt.de, sowie die Aussicht, viele der Menschen, mit denen ich bis dato nur virtuell Kontakt hatte, nun endlich einmal persönlich kennen zu lernen, das alles trug zu diesem Gefühl wohl entscheidend bei.
Das Barcamp selbst erhält seine besondere Atmosphäre auch durch die intensive Begleitung über Twitter. Über den vorab festgelegten Hashtag #kir20bc war es möglich, sowohl innerhalb einer Session sozusagen ein stilles Begleitgespräch zum jeweiligen Thema zu führen - als auch mitzubekommen, was in den anderen Sessions gerade lief.
Die folgenden Sessions bildeten für mich das Erlebnis Barcamp 2011:
In Session 1, einberufen von Ralf Peter Reimann, stand die Frage im Mittelpunkt, ob und inwiefern es möglich ist, "Spiritualität online" zu leben bzw. zu erfahren. Konkret ging es dabei um die Chat-Andachten, mit denen auf evangelisch.de schon einige Erfahrungen gesammelt wurden. Andrea Mayer-Edoloeyi, aus dem österreichischen Linz zum Barcamp angereiste katholische Theologin, hat ihre Mitschrift dazu dankenswerterweise ins Netz gestellt.
Die 2. Session, die ich besuchte, bot Andrea selbst an: "Social Media als Bottom-up-Bewegung in der Kirche". Ihre Präsentation dazu hat sie ebenfalls zum Abruf bereitgestellt, auf Slideshare.
Sehr erhellend fand ich dabei die Idee, den Vergleich zwischen Old und New Media (hierarchisch/top-down vs. vernetzt/bottom-up) auf das Gegenüber von Kirche als Religionsgemeinschaft und Kirche als Pastoralgemeinschaft anzuwenden - und wie nahezu zwangsläufig im ersten Verständnis ein Habitus des Mangels, im zweiten ein Habitus der Hoffnung entsteht. Andrea vermied aber den naheliegenden Kurzschluss, das eine durch das andere ablösen zu wollen, sondern gestand beiden Verständnissen ihr Existenzrecht zu: Die Religionsgemeinschaft kann durchaus Guidelines erarbeiten, Support anbieten und Monitoring betreiben, während beispielsweise Kommunikation und Seelsorge besser in der Verantwortung der Pastoralgemeinschaft aufgehoben ist. Nebenbei resultiert aus diesen Überlegungen auch die Feststellung dass und warum es für Institutionen (wie Landeskirchen) am schwierigsten ist, eine Facebook-Page zu betreuen. Einfacher ist es dagegen, die Gemeinden ins Web 2.0 zu bringen, und Andrea plädierte hier dafür, mit Adminrechten freizügig umzugehen, sprich: Ehrenamtlichen vertrauensvoll diese Verantwortung zu übertragen.
Ein für mich spannender Anknüpfungspunkt aus der Diskussion war für mich die These Antje Schrupps, Social Media werde dazu führen, dass die Autorität von Amtspersonen abnehmen werde. Wird das so sein? Welche "Autorität" ist eigentlich gemeint? Wir reden doch gerne vom "Vertrauensvorschuss", den Menschen dem Pfarrer, der Pfarrerin entgegenbringen. Ich gehe davon aus, dass viele meiner Twitterfollower nur deshalb begonnen haben, mir zu folgen, weil da "Pfarrer" im Profil steht. Wird das künftig keine Rolle mehr spielen? Was stattdessen?
Mit Session 3 entschied ich mich für ein altbekanntes Thema: Podcasting. Altbekannt deshalb, weil ich schon 2006 in meiner damaligen Funktion als Evangelischer Privatfunkbeauftragter für Rheinland-Pfalz einen der ersten landeskirchlichen Podcasts realisierte: den "ProtCast Pfalz". Natürlich gehört er zu den eher institutionellen, offiziellen Angeboten, wie sie parallel und in der Folge von vielen Radiosendern und kirchlichen Rundfunkagenturen als selbstverständlicher Zweitverwertungs- und Nachhörkanal eingerichtet wurden. Daneben habe ich stets die private Podcast-Szene als reizvoll empfunden (für mich v.a. verbunden mit den Namen Annik Rubens, Alex Wunschel, Norman Osthus - sowie christlicherseits mit Father Roderick, Pfarrer Hans Spiegl). Alles geborene Labertaschen, die dank Podcasting frei von irgendwelchen Formatvorgaben einfach das Hörprogramm machen können, das ihnen Spaß macht. Maria Schmidts Idee mit ihrer Session war nun, einen Podcast unter dem Titel "The little web service - Der Podcast über Gott, die Welt und das Internet" zu initiieren. Grundgedanke ist, über Twitter und Facebook Fragen und Themen zu sammeln und zur Beantwortung via Skype-Interviews auf die vielfältigen Kompetenzen zurückzugreifen, die in der christlichen Web-2.0-Szene vorhanden sind. Marias Präsentation findet sich auf Slideshare; mittlerweile hat sie bereits eine (geschlossene) Facebook-Gruppe gegründet, in der auch schon die Planung für die erste Folge (ein Rückblick aufs Barcamp) angelaufen ist.
Session 4 habe ich ausgelassen, um gemütlich im Plenumssaal sitzen zu bleiben und meine eigene Atheismus-Session vorzubereiten - nebenbei ging der Blick natürlich immer wieder zur Twitterwall.
In Session 5, wieder einberufen von Ralf Peter Reimann, ging es um die Frage, ob eine Internetcommunity als vollgültige Gemeinde, Online-Gemeinde eben, gelten kann, theologisch wie kirchenrechtlich. Auch hierzu hat Andrea eine Mitschrift angefertigt. Da wurden Vergleiche gezogen zwischen Netikette und Hausrecht: Ist von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen zu werden dasselbe wie von einer Internetcommunity? Ist die Face-to-Face-Begegnung zwingend erforderlich zur Definition dessen, was Gemeinde ist? Gibt es, wie Kollege Horst Peter Pohl formulierte, zwar "Gemeinde online, aber nicht Online-Gemeinde"? Dass es möglich sein könnte, einen Online-Gottesdienst mit Abendmahl zu feiern, wurde mehrheitlich ausgeschlossen - vgl. dazu aber den Beitrag von Benjamin Koppe, der beim Barcamp leider nicht dabei war. Klar war, dass diese Session nur dazu dienen konnte, die Fragenkomplexe anzureißen und gedanklich zu strukturieren, aber nicht abschließend zu beantworten.
[weiter zu Teil 2 des Barcamp-Rückblicks]
Stell dir vor, das liegt nicht daran, dass du dich nicht ausreichend informiert hast, sondern weil es die Organisatoren selbst nicht wissen.
Stell dir vor, das funktioniert trotzdem: Es wird hochmotiviert miteinander gearbeitet und diskutiert, dein Kopf ist voller neuer Ideen und Gedanken, bislang Unstrukturiertes gewinnt plötzlich Form - und darüber hinaus erlebst du noch eine tolle Gemeinschaft von lauter interessanten Menschen.
Das ist Barcamp. Eine Tagungsform, die ganz auf die Kompetenzen, das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzt. Am Anfang eines jeden Tages steht die Sessionplanung; diejenigen Teilnehmer, die einen Inhalt präsentieren oder sich darüber austauschen wollen, stellen ihr Thema dem Plenum kurz vor, fragen das Interesse ab und belegen dann damit einen der 45-minütigen Session Slots in einem der zur Verfügung stehenden Räume. Und dann? Ja, dann geht's zur Sache.
Am vergangenen Wochenende, vom 6. bis 8. Mai 2011, fand in Bornheim das 2. Barcamp "Kirche im Web 2.0" statt, ausgerichtet von evangelisch.de. Ich selbst war zum ersten Mal bei einem solchen Barcamp dabei. In den Wochen und Tagen zuvor war die Vorfreude täglich gestiegen - mehr, als ich dies von anderen Tagungen kenne. Die möglichen Sessions, die sich schon im Vorfeld abzeichneten, der Vorab-Austausch auf Twitter, Facebook und im Forum von kirche20.mixxt.de, sowie die Aussicht, viele der Menschen, mit denen ich bis dato nur virtuell Kontakt hatte, nun endlich einmal persönlich kennen zu lernen, das alles trug zu diesem Gefühl wohl entscheidend bei.
Das Barcamp selbst erhält seine besondere Atmosphäre auch durch die intensive Begleitung über Twitter. Über den vorab festgelegten Hashtag #kir20bc war es möglich, sowohl innerhalb einer Session sozusagen ein stilles Begleitgespräch zum jeweiligen Thema zu führen - als auch mitzubekommen, was in den anderen Sessions gerade lief.
Die folgenden Sessions bildeten für mich das Erlebnis Barcamp 2011:
In Session 1, einberufen von Ralf Peter Reimann, stand die Frage im Mittelpunkt, ob und inwiefern es möglich ist, "Spiritualität online" zu leben bzw. zu erfahren. Konkret ging es dabei um die Chat-Andachten, mit denen auf evangelisch.de schon einige Erfahrungen gesammelt wurden. Andrea Mayer-Edoloeyi, aus dem österreichischen Linz zum Barcamp angereiste katholische Theologin, hat ihre Mitschrift dazu dankenswerterweise ins Netz gestellt.
Die 2. Session, die ich besuchte, bot Andrea selbst an: "Social Media als Bottom-up-Bewegung in der Kirche". Ihre Präsentation dazu hat sie ebenfalls zum Abruf bereitgestellt, auf Slideshare.
Sehr erhellend fand ich dabei die Idee, den Vergleich zwischen Old und New Media (hierarchisch/top-down vs. vernetzt/bottom-up) auf das Gegenüber von Kirche als Religionsgemeinschaft und Kirche als Pastoralgemeinschaft anzuwenden - und wie nahezu zwangsläufig im ersten Verständnis ein Habitus des Mangels, im zweiten ein Habitus der Hoffnung entsteht. Andrea vermied aber den naheliegenden Kurzschluss, das eine durch das andere ablösen zu wollen, sondern gestand beiden Verständnissen ihr Existenzrecht zu: Die Religionsgemeinschaft kann durchaus Guidelines erarbeiten, Support anbieten und Monitoring betreiben, während beispielsweise Kommunikation und Seelsorge besser in der Verantwortung der Pastoralgemeinschaft aufgehoben ist. Nebenbei resultiert aus diesen Überlegungen auch die Feststellung dass und warum es für Institutionen (wie Landeskirchen) am schwierigsten ist, eine Facebook-Page zu betreuen. Einfacher ist es dagegen, die Gemeinden ins Web 2.0 zu bringen, und Andrea plädierte hier dafür, mit Adminrechten freizügig umzugehen, sprich: Ehrenamtlichen vertrauensvoll diese Verantwortung zu übertragen.
Ein für mich spannender Anknüpfungspunkt aus der Diskussion war für mich die These Antje Schrupps, Social Media werde dazu führen, dass die Autorität von Amtspersonen abnehmen werde. Wird das so sein? Welche "Autorität" ist eigentlich gemeint? Wir reden doch gerne vom "Vertrauensvorschuss", den Menschen dem Pfarrer, der Pfarrerin entgegenbringen. Ich gehe davon aus, dass viele meiner Twitterfollower nur deshalb begonnen haben, mir zu folgen, weil da "Pfarrer" im Profil steht. Wird das künftig keine Rolle mehr spielen? Was stattdessen?
Mit Session 3 entschied ich mich für ein altbekanntes Thema: Podcasting. Altbekannt deshalb, weil ich schon 2006 in meiner damaligen Funktion als Evangelischer Privatfunkbeauftragter für Rheinland-Pfalz einen der ersten landeskirchlichen Podcasts realisierte: den "ProtCast Pfalz". Natürlich gehört er zu den eher institutionellen, offiziellen Angeboten, wie sie parallel und in der Folge von vielen Radiosendern und kirchlichen Rundfunkagenturen als selbstverständlicher Zweitverwertungs- und Nachhörkanal eingerichtet wurden. Daneben habe ich stets die private Podcast-Szene als reizvoll empfunden (für mich v.a. verbunden mit den Namen Annik Rubens, Alex Wunschel, Norman Osthus - sowie christlicherseits mit Father Roderick, Pfarrer Hans Spiegl). Alles geborene Labertaschen, die dank Podcasting frei von irgendwelchen Formatvorgaben einfach das Hörprogramm machen können, das ihnen Spaß macht. Maria Schmidts Idee mit ihrer Session war nun, einen Podcast unter dem Titel "The little web service - Der Podcast über Gott, die Welt und das Internet" zu initiieren. Grundgedanke ist, über Twitter und Facebook Fragen und Themen zu sammeln und zur Beantwortung via Skype-Interviews auf die vielfältigen Kompetenzen zurückzugreifen, die in der christlichen Web-2.0-Szene vorhanden sind. Marias Präsentation findet sich auf Slideshare; mittlerweile hat sie bereits eine (geschlossene) Facebook-Gruppe gegründet, in der auch schon die Planung für die erste Folge (ein Rückblick aufs Barcamp) angelaufen ist.
Session 4 habe ich ausgelassen, um gemütlich im Plenumssaal sitzen zu bleiben und meine eigene Atheismus-Session vorzubereiten - nebenbei ging der Blick natürlich immer wieder zur Twitterwall.
In Session 5, wieder einberufen von Ralf Peter Reimann, ging es um die Frage, ob eine Internetcommunity als vollgültige Gemeinde, Online-Gemeinde eben, gelten kann, theologisch wie kirchenrechtlich. Auch hierzu hat Andrea eine Mitschrift angefertigt. Da wurden Vergleiche gezogen zwischen Netikette und Hausrecht: Ist von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen zu werden dasselbe wie von einer Internetcommunity? Ist die Face-to-Face-Begegnung zwingend erforderlich zur Definition dessen, was Gemeinde ist? Gibt es, wie Kollege Horst Peter Pohl formulierte, zwar "Gemeinde online, aber nicht Online-Gemeinde"? Dass es möglich sein könnte, einen Online-Gottesdienst mit Abendmahl zu feiern, wurde mehrheitlich ausgeschlossen - vgl. dazu aber den Beitrag von Benjamin Koppe, der beim Barcamp leider nicht dabei war. Klar war, dass diese Session nur dazu dienen konnte, die Fragenkomplexe anzureißen und gedanklich zu strukturieren, aber nicht abschließend zu beantworten.
[weiter zu Teil 2 des Barcamp-Rückblicks]
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