Seit 10. Januar ist die neu konzipierte "Körperwelten"-Ausstellung von Plastinator Gunther von Hagens in Heidelberg zu sehen. Wenn sie nicht verlängert wird, läuft sie noch bis zum 26. April, also noch anderthalb Wochen. Kurz vor der Ausstellungseröffnung Anfang Januar hatte ich begonnen, kirchliche Stellungnahmen aus den vergangenen Jahren zusammenzustellen, um für dieses Blog eine grundsätzliche ethische Beurteilung zu verfassen. Die Stofffülle wuchs jedoch rasch sehr stark an, und das Thema erwies sich als komplexer als gedacht, so dass ich dieses Vorhaben - auch aus Zeitgründen - nicht umsetzen konnte. Im Folgenden veröffentliche ich nun die halbwegs geschlossenen, im Ganzen aber doch Fragment gebliebenen Teile meiner Beschäftigung mit dem Thema.
Mannheim 1997: Grobe Geschmacklosigkeit und Verletzung der Menschenwürde
Laut einem epd-Artikel vom 28.10.1997 kritisierten evangelische und katholische Kirche damals die Ausstellung als "grobe Geschmacklosigkeit" und Verletzung der Menschenwürde, die nicht mit dem Tod ende. In einem gemeinsamen Brief an führende Politiker des Landes und der Stadt bemängelten die Mannheimer Kirchen, dass Verstorbene zu Ausstellungsstücken degradiert und das neugierige Betrachten präparierter toter Menschen zu einem Kulturereignis stilisiert werde. Die Ausstellung trage zum Verfall sittlicher Werte in unserer Gesellschaft bei. Des Weiteren wurde damals die Befürchtung geäußert, die "Ehrfurcht vor dem Leben" könne Schaden nehmen. Und es wurde festgehalten, dass die Kirchen nichts gegen die Verwendung von präparierten Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken haben.
Mannheim 1997: Grobe Geschmacklosigkeit und Verletzung der Menschenwürde
Laut einem epd-Artikel vom 28.10.1997 kritisierten evangelische und katholische Kirche damals die Ausstellung als "grobe Geschmacklosigkeit" und Verletzung der Menschenwürde, die nicht mit dem Tod ende. In einem gemeinsamen Brief an führende Politiker des Landes und der Stadt bemängelten die Mannheimer Kirchen, dass Verstorbene zu Ausstellungsstücken degradiert und das neugierige Betrachten präparierter toter Menschen zu einem Kulturereignis stilisiert werde. Die Ausstellung trage zum Verfall sittlicher Werte in unserer Gesellschaft bei. Des Weiteren wurde damals die Befürchtung geäußert, die "Ehrfurcht vor dem Leben" könne Schaden nehmen. Und es wurde festgehalten, dass die Kirchen nichts gegen die Verwendung von präparierten Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken haben.
Von Hagens: Spender haben eingewilligt - ekelfreie Anatomie
Gegen den Vorwurf, seine Ausstellung verletze die Menschenwürde, verteidigte sich von Hagens damals mit den Argumenten:
- Die Spender hätten zu Lebzeiten schriftlich eingewilligt
- Die Spender blieben anonym
- Die Spender seien nicht mehr "Objekt von Trauer"
Außerdem hätten ihm zwei Christinnen ihre Körper mit der Begründung überlassen, sie würden in einem neuen Leib auferweckt werden.
Damals argumentierte von Hagens, das "Unangenehme des Sterbens und der Verwesung" werde nicht gezeigt. Die Präparate seien trocken, fest und geruchsfrei. Sie seien so vom Ekel befreit, und Laien könnten sich ohne Abscheu mit der Anatomie befassen.
Mehr Tabubruch als wissenschaftliche Aufklärung? - "Staunen über die Schöpfung"
Der heutige badische Landesbischof und damalige Mannheimer Dekan Ulrich Fischer bewertete die Ausstellung laut epd vom 21.11.1997 als Tabubruch, der den christlich-jüdischen Wertekonsens in Frage stelle. Menschen würden nach ihrem Tod zu Kunstwerken verarbeitet. Damit habe die Ausstellung etwas "Sensationelles, Voyeuristisches", das mit wissenschaftlicher Aufklärung nichts mehr zu tun habe. Der Plastinator mache sich selbst zum Schöpfer. Angesichts vieler positiver Besucherreaktionen räumte Fischer damals ein, die Schau könne durchaus ein "Staunen über die Schöpfung" hervorrufen; der Preis dafür sei jedoch zu hoch. Anfang 1998 verschärfte Fischer seine Kritik noch mit Blick auf einzelne Exponate, die seiner Ansicht nach keinen wissenschaftlichen Zweck verfolgten, sondern nur sensationell oder ästhetisch wirken sollten.
Mit guten Sitten unvereinbar
Selbst der Direktor des Pathologischen Instituts am Mannheimer Uni-Klinikum, Uwe Bleyl, äußerte sich 1997 kritisch über die Ganzkörperpräparate. Der Plastinator habe hier die Organe um der eigenen Kreativität und der künstlerischen Intention willen benutzt. Das sei mit den guten Sitten unvereinbar und ethisch nicht vertretbar.
Berlin 2001: Pietätlos und anstößig - Verletzung der Totenruhe
Auch 2001 in Berlin reagierten die Kirchen vor Ort mit heftiger Kritik: Die Art der öffentlichen Darstellung menschlicher Leichen sei pietätlos und anstößig, äußerte sich damals der Rektor der Katholischen Akademie, Ernst Pulsfort. Vor allem wolle von Hagens die Plastinate auch als Kunstwerke verstanden wissen, die am "Tabu des Todes" rühren. Die Ausstellung breche jedoch nicht das Tabu des Todes, sondern das der Totenruhe. Mit der Anonymisierung und Verfremdung nehme von Hagens den Leichen ihre Biografie und Individualität. Mit der Konservierung habe der Anatom den Leichen außerdem das elementare Recht jedes Menschen geraubt, nach dem Tod einen letzten Ort der Ruhe zu finden. Diesem Argument kann ich (A.E.) nicht ganz folgen. So handelte sich denn Pulsfort auch umgekehrt heftige Kritik des Bundesverbands der Körperspender ein: das damals geplante Requiem in Berlin zeuge von Bevormundung, einer "arroganten Geringschätzung" der individuellen Wahl der Bestattungsform, und unterstelle Körperspendern unmoralisches Verhalten und Gedankenlosigkeit.
Blickverengung auf rein materielle Körperlichkeit - Wo bleibt die Seele?
In seiner Predigt argumentierte Pulsfort, das "Schockierende und Abstoßende" der Ausstellung "Körperwelten" bestehe darin, dass sie keine Kritik ertrage und sich auf das Argument der Freiheit der Kunst und Aufklärung zurückziehe. Dabei verenge sie den Blick auf die rein materielle Körperlichkeit, die "in Szene gesetzt, ästhetisiert und verherrlicht" werde. Von der Seele sei da nicht die Rede. Weiter bestehe die Faszination des Echten nicht darin, echten Toten ins Gesicht zu schauen, sondern das Leben in Würde zu bewältigen und nicht zu verachten.
Huber: Zeitliches Leben ist zu unterscheiden vom ewigen Leben
Schon am 18. Januar 2001 äußerte sich der Berliner Bischof (und spätere EKD-Ratsvorsitzende) Wolfgang Huber in seiner Predigt im Berliner Dom kritisch: "Wir brauchen auch ein Verhältnis zur eigenen Endlichkeit. Wir laufen in die Irre, wenn wir unser zeitliches Leben nicht mehr unterscheiden können vom ewigen Leben; die Ausstellung 'Körperwelten' wird hier in Berlin diesen Irrtum demnächst demonstrieren. Wir finden uns in unserer Welt nicht zurecht, wenn wir nicht über diese Welt hinausblicken. Wir verstehen uns als Menschen falsch, wenn wir Gott als unser Gegenüber aus dem Blick verlieren."
Verzicht auf Hoffnung über den Tod hinaus
Im Mai erneuerte Huber bei einer Veranstaltung der Evangelischen und der Katholischen Akademie seine Kritik an der "Körperwelten"-Ausstellung. Die Präsentation von dauerhaft konservierten anonymen Leichnamen spiegele einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Tod wider. Darin komme wie bei anonymen Bestattungen ein Verzicht auf die christliche Hoffnung auf Erlösung "über den Tod hinaus" zum Ausdruck.
Zweifelhafter Bildungswert der "Körperwelten"
Auch der Bildungswert der "Körperwelten"-Ausstellung ist bezweifelt worden. So urteilte 2001 der Direktor des Medizinhistorischen Museums in Berlin, Thomas Schnalke, die Ausstellung schöpfe ihr Potenzial zur Vermittlung anatomischer Kenntnisse an Hand der plastinierten Leichname bei weitem nicht aus.
Gutachten 2003: Menschenwürde bleibt gewahrt
Im Prinzip stimme ich (A.E.) eigentlich dem 2003 erstellten Gutachten des Mainzer Staatsrechtsprofessors Friedhelm Hufen zugunsten Gunther von Hagens' zu (epd 12.2.03-07), wonach die Menschenwürde erst verletzt wäre, wenn die Körper verächtlich gemacht oder erniedrigt würden. Das sei aber erkennbar nicht der Fall. Ich denke an die Diskussion auf WKW über den verhungernden, aber noch lebendig im Rahmen einer Kunstaktion ausgestellten Straßenhund. Tierliebhabern und -schützern war ganz offensichtlich, dass dies die Würde des Tieres verletzte, das unfreiwillig zum Objekt gemacht wurde.
Bleibt aber umgekehrt die Menschenwürde gewahrt, wenn der Mensch vor seinem Tod frei über die Verwendung seines Körpers für wissenschaftliche Zwecke und/oder Ausstellungsstück entschieden hat? Laut Gutachten hängt die Menschenwürde nicht nur an der freien Entscheidung des Körperspenders, sondern auch an der Art und Weise der "Verwendung" des Körpers nach seinem Tod - es besteht die Möglichkeit, dass sie verächtlich gemacht oder erniedrigt werden.
Freie Entscheidung des Einzelnen gewährleistet noch nicht Wahrung der Menschenwürde
Der amtierende Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble formulierte 2001 in der Oktober-Ausgabe des Magazins "Zeitzeichen" in anderem Zusammenhang, nämlich zur Frage der Menschenwürde in den Medien: "Verletzung der Menschenwürde kann auch nicht durch Einwilligung gerechtfertigt werden, weil sie der Verfügung des Einzelnen entzogen bleiben muss. Anderenfalls wäre sie nicht im Sinne von Artikel I Grundgesetz unantastbar." (S. 33)
Bedeutet das aber nicht einen inneren Widerspruch? Die Körperspender glauben, durch ihre freie Entscheidung für die Spende ihre Würde wahren zu können - letztlich übertragen sie die Verantwortung dafür jedoch in andere Hände und können sich nicht sicher sein, was mit ihrem Körper geschieht. Bezogen auf "Körperwelten" haben sie, so weit ich informiert bin, nicht einmal die Möglichkeit, Wünsche zu den Posen zu äußern, in die sie später gebracht werden.
Insofern bietet einzig und allein eine traditionelle Form der Bestattung Sicherheit darüber, dass die Menschenwürde gewahrt bleibt - indem der Körper in Erde und Asche und Staub übergeht.
Von Hagens verzettelt sich
Wie sich von Hagens in seinen eigenen Aussagen selbst verzettelt, geht sehr schön aus einer epd-Meldung vom 15. Januar 2004 hervor. Von Hagens reagiert auf die Kritik der Kirchen anlässlich der "Körperwelten"-Eröffnung in Frankfurt am Main. Zuerst zieht er sich auf das Argument zurück, das ihm Staatsrechtsprofessor Hufen 2003 in seinem Gutachten geliefert hat: Bei den gezeigten Körpern handle es sich nicht um Leichen, sondern um anatomische Präparate. Folglich könne die Schau auch nicht die Menschenwürde verletzen oder die Totenruhe missachten. So weit, so fadenscheinig. Dann aber versteigt er sich zu einem Seitenhieb gegen die Kirchen: Deren Kritik sei wohl darauf zurückzuführen, dass er mit der Plastinationstechnik am "Bestattungsmonopol der Kirchen kratze". Die Plastination sei nichts anderes als eine neue Form der Bestattung. Ja, was denn nun, Herr von Hagens? Sind es also doch Leichen? Oder seit wann bestattet man anatomische Präparate?
Ich vermute ja, dass der Plastinator sich mit diesen Argumentationen nur gegen die Gefahr absichern will, die teuer präparierten Körper doch irgendwann bestatten lassen zu müssen. Denn das geschieht üblicherweise sowohl mit Leichen von Organspendern wie auch mit Anatomieleichen.
Kritik 2009
Auch die 2009er Ausstellung hat wieder Kritik seitens der Kirchen hervorgerufen. Wirklich neue Argumente sind dabei nach meinem Eindruck aber nicht formuliert worden:
EKD-Kirchenamtspräsident kritisiert "Körperwelten"-Ausstellung
Kirche kritisiert Körperwelten-Ausstellung
Der Menschenwürde nicht gerecht - Kirche kritisiert Körperwelten-Ausstellung
UPDATE: Fortsetzung der Debatte
Ich habe am 20. Juli 2009 hier im Blog unter dem Titel "Die Unbarmherzigkeit der Körperwelten" eine weitere Überlegung angefügt, an der sich eine kleine Diskussion im Kommentarbereich entzündete.
Bücher zur Debatte um die Körperwelten:
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