Freitag, 15. Oktober 2010

Debattenkultur - ich glaube, jetzt hab' ich verstanden, wie der Hase läuft ...

Spruch an Klowand
Der heutige F.A.Z.-Titelkommentar von Reinhard Müller, "Dem Unsinn eine Gasse", befasst sich mit der Unsitte, auf radikale oder abseitige Äußerungen gleich mit Verbot oder Ausschluss zu reagieren: "Aber der Grundgedanke ist richtig, dass alle Äußerungen, die nicht zu Hass oder Gewalt aufrufen, erst einmal ertragen werden müssen", schreibt Müller. Und: "Seit wann genau darf man in der SPD (CDU, DGB, DFB, EKD etc.) nicht mehr Unsinn verkünden?" So weit kann ich ihm folgen; dann macht er eine Aussage, die Richtiges enthält, in ihrer Pauschalität aber verunglimpfend ist: "Immer noch gibt es Täter und Opfer. Wer auf der Seite der Opfer verortet wird, darf fast alles sagen." Gut dann aber wieder der Schluss: "Es gibt keine Pflicht, den Bürger zu langweilen. Und gegen radikale Ansichten und Handlungen hilft zunächst einmal Gelassenheit."

Mit dieser Stoßrichtung kam mir gerade gestern erst ein Gedanke zur öffentlichen Debattenkultur. Bisher sah ich mich stets zu gehörigem Kopfschütteln veranlasst angesichts von Diskussionsverläufen zu verschiedenen Themen. Den Auftakt macht in der Regel ein "Scharfmacher"; es erwidert ein "Weichmacher". Ich vereinfache etwas, aber jedenfalls verlaufen die Fronten diametral entgegengesetzt (was Fronten eigentlich immer so an sich haben ...). Echte Argumente werden kaum ausgetauscht; es kommt meist zu generellen Aburteilungen, zur Feststellung der Diskussionsunwürdigkeit des jeweils Anderen oder ähnlicher Polemik. Erst nach und nach pendelt sich - nachdem sich immer mehr Diskutanten eingeschaltet haben - das Ganze ein, und die Debatte bekommt zumindest in Teilen ein sachliches Niveau. Ich habe mich immer gefragt, warum es nicht möglich ist, von Anfang an eine ausgewogene Sachdiskussion zu führen. D.h.: Warum die Gegner von irgendetwas nicht fähig sind, auch die Pro-Argumente anzuführen - und umgekehrt. Das ließ mich manchmal fast verzweifeln über "uns Menschen".

Aber nun denke ich: Was, wenn es halt einfach so ist? Wenn wir einfach akzeptieren müssen, dass genau so der Hase läuft. Wenn es schließlich und endlich dann doch in die Sachdiskussion mündet, in der Pro und Contra gegeneinander zur Sprache gebracht werden, man sodann über Maßnahmen, Kompromisse, konkretes politisches Handeln beschließt - dann ist es doch gut.

Das aber bedeutet, wenn wieder mal jemand eine steile These aufs Tapet bringt und zunächst verbal aufeinander eingedroschen wird: lächeln, gelassen bleiben, abwarten, in dem Wissen, dass es sich beruhigen wird, vielleicht hier oder da einen dezenten Hinweis einbringen - aber ansonsten nicht die Kräfte vergeuden, sondern erst später sein Hirnschmalz investieren, wenn sachliche Beiträge auch tatsächlich eine Chance haben, gehört oder gelesen zu werden.

Gelassenheit scheint mir in so ungeheuer vielem das dringlichste Gebot zu sein. Und wir haben sie in den vergangenen Jahren zunehmend verlernt. Ich glaube, das Web 2.0 - so gerne ich mich darin bewege - hat dazu einen erheblichen Teil beigetragen.

1 Kommentar:

  1. Den letzten Satz stimme ich zu. Ich sehe auch eher eine positive Entwicklung durch das Internet. Was die leicht ins persönliche abgleitenden Diskussionen betrifft; ich denke das ist auch ein Zeichen dafür, dass den Diskutanten ein Thema zwar wichtig ist, sie aber nicht immer in der Lage sind dafür die richtigen Argumente zu finden, oder diese dem anderen begreiflich zu machen. Ich bin sicher, es gibt auch Themen die dich die Contenance verlieren lassen ;)

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