[Gastpredigt, gehalten in der Protestantischen Kirche Obrigheim anlässlich der Visitation des Kirchenbezirks Grünstadt
durch den Speyerer Landeskirchenrat]
Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus. Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid; denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Gewissheit. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen. Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist, sodass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an allen Orten ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, sodass wir es nicht nötig haben, etwas darüber zu sagen. Denn sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.
es gibt einen Witz, in dem der Papst nach seinem Tod an die Himmelspforte kommt und dort nicht erkannt wird.
"Aber ich bin doch der Papst!"
"Papst, Papst ... nie gehört, was soll das sein?", fragt Petrus.
"Aber ich bin doch dein Nachfolger!", protestiert der Papst.
"Hm, das sollte ich doch wohl wissen", meint Petrus süffisant.
"Ich bin das Oberhaupt der katholischen Kirche!", macht der Papst einen letzten Versuch.
"Kirche, Kirche ... einen Moment, ich frag' mal nach."
Petrus bringt das Anliegen vor Jesus; aber der ist auf Anhieb genauso überfragt. Schließlich meint er: "Moment, ich telefonier' mal herum."
Eine Viertelstunde später bricht Jesus in schallendes Lachen aus. Nachdem er sich halbwegs wieder beruhigt hat, sagt er, nach Luft japsend: "Petrus, stell dir vor, der kleine Fischerverein, den wir damals gegründet haben ... den gibt's immer noch!"
Ja, in der Tat, wenn es auch nicht das richtige Wort ist:
Den kleinen Verein gibt's immer noch – inzwischen mit unzähligen Zweigstellen und Verzweigungen, Regionalverbänden und Ortsvereinen, wenn man so will, mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, auch mit unterschiedlichen Ansichten und Streitpunkten, mit schwieriger, ja, oft trauriger und beschämender gemeinsamer und getrennter Geschichte – und doch: in alledem – lokal, regional, global – miteinander verbunden durch die eine Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes.
„Es gibt sie immer noch.“ Paulus überschlägt sich fast vor Freude, als er diese Nachricht aus Thessaloniki bekommt. Man hört geradezu einen Luftsprung heraus aus seinen Zeilen.Vielleicht zehn, zwölf Monate zuvor, um das Jahr 50, hatte er dort die christliche Gemeinde gegründet. Paulus musste jedoch relativ bald nach der Gemeindegründung, jedenfalls früher, als ihm lieb war, die Stadt verlassen. Seitdem sorgte er sich darum, ob die junge Gemeinde wohl alleine, ohne ihn, zurecht käme. Schließlich hatte er nicht ausreichend Gelegenheit, ihnen alles zu erläutern, alle ihre offenen Fragen zum Evangelium zu beantworten. Also schickt er von Athen aus seinen Mitarbeiter Timotheus nach Thessaloniki, um sich über die Lage der Gemeinde zu informieren. Man kann sagen: Es ist eine der ersten Visitationen der Kirchengeschichte. Und Timotheus kehrt zurück mit guten Nachrichten.
Paulus ist hocherfreut und teilt diese Freude in seinem Brief mit: "Allezeit" dankt er "für alle". "Ohne Unterlass", unaufhörlich, denkt er an die Gemeinde. "Für alle" sind die Thessalonicher Christen ein Vorbild. Ihr Glaube ist "an allen Orten" bekannt geworden.
Das klingt fast schon übertrieben, was Paulus da schreibt. Denn man muss sich ja mal bewusst machen, worüber er sich so freut: dass da, inmitten einer Großstadt von Zehntausenden Einwohnern, diese kleine Gruppe von vielleicht 50, 60 Leuten seit ein paar Monaten Bestand hat; dass es sie schlicht und ergreifend noch gibt.
Objektiv, nach allen Maßstäben, an denen wir "Erfolg" messen würden, ist es eine kleine, kümmerliche Gemeinde, gering an Zahl, umgeben von einem Riesenwust an Kulten. Thessaloniki: die Hauptstadt der römischen Provinz Makedonien, als Hafenstadt ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, in der viele verschiedene Gottheiten verehrt werden, deren Bilder und Statuen an allen Ecken und Enden zu sehen sind, an Straßen, auf Münzen, Kelchen, Vasen und so weiter. Was die kleine christliche Gemeinde da treibt, ist eigentlich völlig bedeutungslos.
Und doch hat Paulus seine guten Gründe, so überschwängliche Freude und Dankbarkeit auszudrücken.
Das Eine ist natürlich: Er will motivieren, Mut machen. Weiter so!
Das Andere: Es ist für ihn tatsächlich nicht selbstverständlich, dass eine christliche Gemeinde da ist. Glaube lässt sich nicht "machen". Und es übersteigt eigentlich die Kräfte der einzelnen Engagierten, für die Gemeinde und ihren Glauben überall und jederzeit sorgen und ihn schützen und bewahren und fördern zu wollen. Darum ist es staunenswert, dass sich das Wort Gottes auch ohne unser Zutun fortpflanzt und durchsetzt.
Es ist: ein Wunder.
Wenn sich Paulus über den guten Bericht des Timotheus aus der Gemeinde in Thessaloniki so sehr freut, dann darum, weil er darüber staunt, was Gott unter den Menschen tun kann und tut.
Paulus richtet den Blick auf das, was schon da ist, nicht auf das, was noch fehlt oder was abgebröckelt ist. Er betrachtet das, was gewachsen ist – und vertraut darauf, dass daraus noch mehr werden kann. Er blickt nicht auf die faktische Bedeutungslosigkeit und Schwäche der Gemeinde – er sieht nur ihre Begabung.
Nein, die Gemeinde ist nicht etwa in diesen paar Monaten schon wieder eingegangen. Sie lebt, sie glaubt, sie hofft, sie liebt. Die Christusgläubigen versammeln sich, feiern Gottesdienst. Sie stehen einander bei und üben Nächstenliebe, auch an anderen, die noch nicht zur Gemeinde gehören.
Dafür ist Paulus dankbar. Und seine Worte reichen durch die Zeiten hindurch von der Gemeinde in Thessaloniki bis zu uns, hier, heute Morgen in Obrigheim, im Dekanat Grünstadt, in der pfälzischen Landeskirche. Paulus schreibt Ihnen, Ihrer Gemeinde: „Wir danken Gott allezeit für euch alle“ – ihr lieben Schwestern und Brüder, ihr „von Gott Geliebte“.
Keine Gemeinde ist irgendwann einfach, erreicht einen Status Quo, mit dem es dann gut und fertig und abgeschlossen wäre. Sondern jede Gemeinde muss in jeder Generation, für jede Zeit wieder werden. Gilt das, dann wird auch augenscheinlich Kleines und Kümmerliches nicht verachtet oder gering geschätzt werden. Denn: Im Reich Gottes wird mit Senfkörnern, nicht mit Kokosnüssen gesät!
Weniges, Kleines, Schwaches ist nicht Nichts, sondern Etwas – und diesem Etwas gebührt Achtung und Dankbarkeit. Das ist gerade auch für Visitationen nicht die schlechteste Grundhaltung.
Hatte es Paulus noch leichter, nicht alles als selbstverständlich zu nehmen? Weil alles noch neu, noch nicht lange da war? Weil er sich noch nicht – wie wir – über lange Zeit daran gewöhnt hatte, dass die Mehrheitsgesellschaft eine christliche ist? War für ihn die Perspektive, dass das Vorhandensein und die Dauerhaftigkeit christlicher Gemeinden ein Wunder Gottes ist, noch leichter einzunehmen?
Aktuell gibt es jeweils rund 24 Millionen Evangelische und Katholiken in Deutschland. Wie selbstverständlich ist das? in dieser Welt? In dieser Zeit? Wenn Paulus in Athen auf Bericht von hier wartete – und einer von uns käme wie Timotheus zu ihm zurück und würde ihm diese Zahlen nennen: Wie würde er wohl reagieren? Würde er jammern: Letztes Jahr waren es aber noch mehr?
Es gibt sie noch, die Christinnen und Christen:
- die 60 in Thessalonich, die Paulus staunen und jubeln und danken lassen
- die knapp 50 Millionen in Deutschland
- die Milliarden in aller Welt, die selbst Jesus im Witz staunend laut lachen lassen: Keinem anderen Glauben rechnen sich mehr Menschen zugehörig. Ein Drittel der Weltbevölkerung.
Die Gemeinde in Thessaloniki blieb lebendig, obwohl sie sich, wie Paulus schreibt, „in großer Bedrängnis“ befand. Ich denke: Ob wir viele sind oder wenige – christlichen Glauben gibt es gar nicht ohne solche Bedrängnis. Und das hängt damit zusammen, dass wir als Christinnen und Christen immer und überall auch irgendwie „fremd“ sind, „Fremdkörper“ in dieser Welt.
Wir rechnen nun einmal so: Die ewige Stadt, das Reich Gottes, das steht noch aus. Das ist in Jesus Christus angebrochen, aber noch nicht verwirklicht. Kein irdischer Ort kann uns deshalb erfüllen, was wir von Gott erst noch erwarten. Die Botschaft von Christus selbst ist ein „Fremdstück“ in der Welt. Und so sind wir, die wir daran glauben, „Fremdstücke“ in der Welt.
Wenn wir ganz eins und versöhnt mit der Welt wären, dann könnten wir uns zurücklehnen: Schön, das Paradies, der Himmel auf Erden! Aber die Welt tut nicht immer das, was wir gerne hätten. Sie rückt nicht endlos Geld heraus für kirchliche Arbeit. Sie produziert nicht endlos Gottesdienstbesucher, jedenfalls nicht so viele, dass es uns „genug“ erschiene. Sie sorgt nicht von selbst dafür, dass Menschen wissen, woran sie sich orientieren sollen; dass Werte vermittelt werden; dass diejenigen Traditionen erhalten bleiben, die gut für uns sind. Traditionsabbruch, Sparzwänge, Mitgliederschwund – das ist die Fremde, in der wir uns heute befinden. Jede Zeit hat ihre Fremde. Und wir müssen damit umgehen.
Paulus’ Art und Weise, damit umzugehen, bestand darin, seine Freude über das Vorhandene auszudrücken, dafür zu danken und der Gemeinde Mut zuzusprechen.
Lebt jetzt, hier und heute, nicht in der vermeintlich besseren Vergangenheit.
Hört auf, ständig Vergleiche mit früher anzustellen.
Macht das Beste aus euren Möglichkeiten.
Besinnt euch dazu auf das, was ihr habt – und das ist nicht nur materiell zu verstehen.
Macht euch auch gegenseitig Mut.
Macht eurer Pfarrerin Mut, damit sie euch Mut machen kann.
Den Mut, der aus dem Glauben kommt.
Mut zum Vertrauen,
Vertrauen auf die Wege Gottes.
Ich sehe es so: Jetzt, im Moment, befinden wir uns ganz akut in der Umbruchsituation. Jetzt ist noch gar nicht zu erkennen, was einmal daraus werden wird. Aber ich will darauf vertrauen: Wenn wir 10, 20, 30 Jahre in die Zukunft schauen könnten und von dort zurückblicken, dass wir dann sagen werden: He, schau mal, was sich da entwickelt hat – so schlecht ist das doch gar nicht. Ja, dieses oder jenes ist eingeschlafen oder mussten wir aufgeben – aber was hier oder dort stattdessen gewachsen ist, das ist gut, das ist schön, das bildet Gemeinschaft, das schenkt Hoffnung.
Wir wissen nicht, wie sich die christliche Kirche in Zukunft entwickeln wird, wo und wann sie stark sein wird, und zu welchen Zeiten und an welchen Orten sie in den Hintergrund tritt. Die Prognosen der Demografen derzeit lauten: Das Christentum im weltweiten Maßstab verlagert sich vom Norden in den Süden – die Kirchen in Afrika und im südlichen Asien verzeichnen Mitgliederzuwächse.
Nun, wenn das so ist, dann sollten wir uns für unsere Glaubensgeschwister dort freuen und sie – so weit es uns aus der Ferne möglich ist – unterstützen, auch durch den Austausch von Erfahrungen, indem wir mitteilen, was wir in der wechselvollen abendländisch-europäisch-christlichen Geschichte richtig – und was wir falsch gemacht haben. Es mag der Zeitpunkt kommen, an dem sie umgekehrt uns hier unterstützen werden. Im geistlichen Sinne tun sie das ja schon an vielen Stellen – wenn wir an die Glaubenskraft denken, die Begeisterung in der Liturgie, die Musik, die zu uns gekommen ist und uns auch hier neue Impulse gegeben hat.
Und wenn wir hier oder da nicht aktiv Handelnde werden können: Lasst uns wenigstens Hoffnung haben! Das ist das Mindeste. Wie Paulus schreibt, in dicht gedrängter und geprägter Sprache: Wir „dienen dem lebendigen und wahren Gott und ... warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.“
Darauf, liebe Gemeinde, lasst uns fest vertrauen. Mit dieser Hoffnung lasst uns gemeinsam anpacken, was uns aufgetragen ist. Unsere Kirche braucht und verdient Menschen, die zu ihr stehen, die gut von ihr reden, die sie mittragen und mitgestalten. Es gibt uns noch, uns, den kleinen Fischerverein, gegründet von Jesus und Petrus vor 2000 Jahren.
Und Gott Vater spricht zu Gott Sohn: „Natürlich gibt’s den noch. Du hast doch damals dem Heiligen Geist gesagt, dass er sich um sie kümmern soll. Und du weißt ja, der ist hartnäckig. Was der einmal angefangen hat, das gibt er so schnell nicht auf, egal, wie schwer sie es ihm machen.“
Und Petrus sagt an der Himmelspforte:
“Ist gut, Papst. Komm rein.“
Amen.
durch den Speyerer Landeskirchenrat]
Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus. Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid; denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Gewissheit. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen. Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist, sodass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an allen Orten ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, sodass wir es nicht nötig haben, etwas darüber zu sagen. Denn sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.
1. Thessalonicher 1, 2-10
Liebe Gemeinde,es gibt einen Witz, in dem der Papst nach seinem Tod an die Himmelspforte kommt und dort nicht erkannt wird.
"Aber ich bin doch der Papst!"
"Papst, Papst ... nie gehört, was soll das sein?", fragt Petrus.
"Aber ich bin doch dein Nachfolger!", protestiert der Papst.
"Hm, das sollte ich doch wohl wissen", meint Petrus süffisant.
"Ich bin das Oberhaupt der katholischen Kirche!", macht der Papst einen letzten Versuch.
"Kirche, Kirche ... einen Moment, ich frag' mal nach."
Petrus bringt das Anliegen vor Jesus; aber der ist auf Anhieb genauso überfragt. Schließlich meint er: "Moment, ich telefonier' mal herum."
Eine Viertelstunde später bricht Jesus in schallendes Lachen aus. Nachdem er sich halbwegs wieder beruhigt hat, sagt er, nach Luft japsend: "Petrus, stell dir vor, der kleine Fischerverein, den wir damals gegründet haben ... den gibt's immer noch!"
Ja, in der Tat, wenn es auch nicht das richtige Wort ist:
Den kleinen Verein gibt's immer noch – inzwischen mit unzähligen Zweigstellen und Verzweigungen, Regionalverbänden und Ortsvereinen, wenn man so will, mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, auch mit unterschiedlichen Ansichten und Streitpunkten, mit schwieriger, ja, oft trauriger und beschämender gemeinsamer und getrennter Geschichte – und doch: in alledem – lokal, regional, global – miteinander verbunden durch die eine Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes.
„Es gibt sie immer noch.“ Paulus überschlägt sich fast vor Freude, als er diese Nachricht aus Thessaloniki bekommt. Man hört geradezu einen Luftsprung heraus aus seinen Zeilen.Vielleicht zehn, zwölf Monate zuvor, um das Jahr 50, hatte er dort die christliche Gemeinde gegründet. Paulus musste jedoch relativ bald nach der Gemeindegründung, jedenfalls früher, als ihm lieb war, die Stadt verlassen. Seitdem sorgte er sich darum, ob die junge Gemeinde wohl alleine, ohne ihn, zurecht käme. Schließlich hatte er nicht ausreichend Gelegenheit, ihnen alles zu erläutern, alle ihre offenen Fragen zum Evangelium zu beantworten. Also schickt er von Athen aus seinen Mitarbeiter Timotheus nach Thessaloniki, um sich über die Lage der Gemeinde zu informieren. Man kann sagen: Es ist eine der ersten Visitationen der Kirchengeschichte. Und Timotheus kehrt zurück mit guten Nachrichten.
Paulus ist hocherfreut und teilt diese Freude in seinem Brief mit: "Allezeit" dankt er "für alle". "Ohne Unterlass", unaufhörlich, denkt er an die Gemeinde. "Für alle" sind die Thessalonicher Christen ein Vorbild. Ihr Glaube ist "an allen Orten" bekannt geworden.
Das klingt fast schon übertrieben, was Paulus da schreibt. Denn man muss sich ja mal bewusst machen, worüber er sich so freut: dass da, inmitten einer Großstadt von Zehntausenden Einwohnern, diese kleine Gruppe von vielleicht 50, 60 Leuten seit ein paar Monaten Bestand hat; dass es sie schlicht und ergreifend noch gibt.
Objektiv, nach allen Maßstäben, an denen wir "Erfolg" messen würden, ist es eine kleine, kümmerliche Gemeinde, gering an Zahl, umgeben von einem Riesenwust an Kulten. Thessaloniki: die Hauptstadt der römischen Provinz Makedonien, als Hafenstadt ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, in der viele verschiedene Gottheiten verehrt werden, deren Bilder und Statuen an allen Ecken und Enden zu sehen sind, an Straßen, auf Münzen, Kelchen, Vasen und so weiter. Was die kleine christliche Gemeinde da treibt, ist eigentlich völlig bedeutungslos.
Und doch hat Paulus seine guten Gründe, so überschwängliche Freude und Dankbarkeit auszudrücken.
Das Eine ist natürlich: Er will motivieren, Mut machen. Weiter so!
Das Andere: Es ist für ihn tatsächlich nicht selbstverständlich, dass eine christliche Gemeinde da ist. Glaube lässt sich nicht "machen". Und es übersteigt eigentlich die Kräfte der einzelnen Engagierten, für die Gemeinde und ihren Glauben überall und jederzeit sorgen und ihn schützen und bewahren und fördern zu wollen. Darum ist es staunenswert, dass sich das Wort Gottes auch ohne unser Zutun fortpflanzt und durchsetzt.
Es ist: ein Wunder.
Wenn sich Paulus über den guten Bericht des Timotheus aus der Gemeinde in Thessaloniki so sehr freut, dann darum, weil er darüber staunt, was Gott unter den Menschen tun kann und tut.
Paulus richtet den Blick auf das, was schon da ist, nicht auf das, was noch fehlt oder was abgebröckelt ist. Er betrachtet das, was gewachsen ist – und vertraut darauf, dass daraus noch mehr werden kann. Er blickt nicht auf die faktische Bedeutungslosigkeit und Schwäche der Gemeinde – er sieht nur ihre Begabung.
Nein, die Gemeinde ist nicht etwa in diesen paar Monaten schon wieder eingegangen. Sie lebt, sie glaubt, sie hofft, sie liebt. Die Christusgläubigen versammeln sich, feiern Gottesdienst. Sie stehen einander bei und üben Nächstenliebe, auch an anderen, die noch nicht zur Gemeinde gehören.
Dafür ist Paulus dankbar. Und seine Worte reichen durch die Zeiten hindurch von der Gemeinde in Thessaloniki bis zu uns, hier, heute Morgen in Obrigheim, im Dekanat Grünstadt, in der pfälzischen Landeskirche. Paulus schreibt Ihnen, Ihrer Gemeinde: „Wir danken Gott allezeit für euch alle“ – ihr lieben Schwestern und Brüder, ihr „von Gott Geliebte“.
Keine Gemeinde ist irgendwann einfach, erreicht einen Status Quo, mit dem es dann gut und fertig und abgeschlossen wäre. Sondern jede Gemeinde muss in jeder Generation, für jede Zeit wieder werden. Gilt das, dann wird auch augenscheinlich Kleines und Kümmerliches nicht verachtet oder gering geschätzt werden. Denn: Im Reich Gottes wird mit Senfkörnern, nicht mit Kokosnüssen gesät!
Weniges, Kleines, Schwaches ist nicht Nichts, sondern Etwas – und diesem Etwas gebührt Achtung und Dankbarkeit. Das ist gerade auch für Visitationen nicht die schlechteste Grundhaltung.
Hatte es Paulus noch leichter, nicht alles als selbstverständlich zu nehmen? Weil alles noch neu, noch nicht lange da war? Weil er sich noch nicht – wie wir – über lange Zeit daran gewöhnt hatte, dass die Mehrheitsgesellschaft eine christliche ist? War für ihn die Perspektive, dass das Vorhandensein und die Dauerhaftigkeit christlicher Gemeinden ein Wunder Gottes ist, noch leichter einzunehmen?
Aktuell gibt es jeweils rund 24 Millionen Evangelische und Katholiken in Deutschland. Wie selbstverständlich ist das? in dieser Welt? In dieser Zeit? Wenn Paulus in Athen auf Bericht von hier wartete – und einer von uns käme wie Timotheus zu ihm zurück und würde ihm diese Zahlen nennen: Wie würde er wohl reagieren? Würde er jammern: Letztes Jahr waren es aber noch mehr?
Es gibt sie noch, die Christinnen und Christen:
- die 60 in Thessalonich, die Paulus staunen und jubeln und danken lassen
- die knapp 50 Millionen in Deutschland
- die Milliarden in aller Welt, die selbst Jesus im Witz staunend laut lachen lassen: Keinem anderen Glauben rechnen sich mehr Menschen zugehörig. Ein Drittel der Weltbevölkerung.
Die Gemeinde in Thessaloniki blieb lebendig, obwohl sie sich, wie Paulus schreibt, „in großer Bedrängnis“ befand. Ich denke: Ob wir viele sind oder wenige – christlichen Glauben gibt es gar nicht ohne solche Bedrängnis. Und das hängt damit zusammen, dass wir als Christinnen und Christen immer und überall auch irgendwie „fremd“ sind, „Fremdkörper“ in dieser Welt.
Wir rechnen nun einmal so: Die ewige Stadt, das Reich Gottes, das steht noch aus. Das ist in Jesus Christus angebrochen, aber noch nicht verwirklicht. Kein irdischer Ort kann uns deshalb erfüllen, was wir von Gott erst noch erwarten. Die Botschaft von Christus selbst ist ein „Fremdstück“ in der Welt. Und so sind wir, die wir daran glauben, „Fremdstücke“ in der Welt.
Wenn wir ganz eins und versöhnt mit der Welt wären, dann könnten wir uns zurücklehnen: Schön, das Paradies, der Himmel auf Erden! Aber die Welt tut nicht immer das, was wir gerne hätten. Sie rückt nicht endlos Geld heraus für kirchliche Arbeit. Sie produziert nicht endlos Gottesdienstbesucher, jedenfalls nicht so viele, dass es uns „genug“ erschiene. Sie sorgt nicht von selbst dafür, dass Menschen wissen, woran sie sich orientieren sollen; dass Werte vermittelt werden; dass diejenigen Traditionen erhalten bleiben, die gut für uns sind. Traditionsabbruch, Sparzwänge, Mitgliederschwund – das ist die Fremde, in der wir uns heute befinden. Jede Zeit hat ihre Fremde. Und wir müssen damit umgehen.
Paulus’ Art und Weise, damit umzugehen, bestand darin, seine Freude über das Vorhandene auszudrücken, dafür zu danken und der Gemeinde Mut zuzusprechen.
Lebt jetzt, hier und heute, nicht in der vermeintlich besseren Vergangenheit.
Hört auf, ständig Vergleiche mit früher anzustellen.
Macht das Beste aus euren Möglichkeiten.
Besinnt euch dazu auf das, was ihr habt – und das ist nicht nur materiell zu verstehen.
Macht euch auch gegenseitig Mut.
Macht eurer Pfarrerin Mut, damit sie euch Mut machen kann.
Den Mut, der aus dem Glauben kommt.
Mut zum Vertrauen,
Vertrauen auf die Wege Gottes.
Ich sehe es so: Jetzt, im Moment, befinden wir uns ganz akut in der Umbruchsituation. Jetzt ist noch gar nicht zu erkennen, was einmal daraus werden wird. Aber ich will darauf vertrauen: Wenn wir 10, 20, 30 Jahre in die Zukunft schauen könnten und von dort zurückblicken, dass wir dann sagen werden: He, schau mal, was sich da entwickelt hat – so schlecht ist das doch gar nicht. Ja, dieses oder jenes ist eingeschlafen oder mussten wir aufgeben – aber was hier oder dort stattdessen gewachsen ist, das ist gut, das ist schön, das bildet Gemeinschaft, das schenkt Hoffnung.
Wir wissen nicht, wie sich die christliche Kirche in Zukunft entwickeln wird, wo und wann sie stark sein wird, und zu welchen Zeiten und an welchen Orten sie in den Hintergrund tritt. Die Prognosen der Demografen derzeit lauten: Das Christentum im weltweiten Maßstab verlagert sich vom Norden in den Süden – die Kirchen in Afrika und im südlichen Asien verzeichnen Mitgliederzuwächse.
Nun, wenn das so ist, dann sollten wir uns für unsere Glaubensgeschwister dort freuen und sie – so weit es uns aus der Ferne möglich ist – unterstützen, auch durch den Austausch von Erfahrungen, indem wir mitteilen, was wir in der wechselvollen abendländisch-europäisch-christlichen Geschichte richtig – und was wir falsch gemacht haben. Es mag der Zeitpunkt kommen, an dem sie umgekehrt uns hier unterstützen werden. Im geistlichen Sinne tun sie das ja schon an vielen Stellen – wenn wir an die Glaubenskraft denken, die Begeisterung in der Liturgie, die Musik, die zu uns gekommen ist und uns auch hier neue Impulse gegeben hat.
Und wenn wir hier oder da nicht aktiv Handelnde werden können: Lasst uns wenigstens Hoffnung haben! Das ist das Mindeste. Wie Paulus schreibt, in dicht gedrängter und geprägter Sprache: Wir „dienen dem lebendigen und wahren Gott und ... warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.“
Darauf, liebe Gemeinde, lasst uns fest vertrauen. Mit dieser Hoffnung lasst uns gemeinsam anpacken, was uns aufgetragen ist. Unsere Kirche braucht und verdient Menschen, die zu ihr stehen, die gut von ihr reden, die sie mittragen und mitgestalten. Es gibt uns noch, uns, den kleinen Fischerverein, gegründet von Jesus und Petrus vor 2000 Jahren.
Und Gott Vater spricht zu Gott Sohn: „Natürlich gibt’s den noch. Du hast doch damals dem Heiligen Geist gesagt, dass er sich um sie kümmern soll. Und du weißt ja, der ist hartnäckig. Was der einmal angefangen hat, das gibt er so schnell nicht auf, egal, wie schwer sie es ihm machen.“
Und Petrus sagt an der Himmelspforte:
“Ist gut, Papst. Komm rein.“
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