Mittwoch, 30. März 2011

Besser spät als nie: Mein Rückblick auf "Gemeinde 2.0" #gem20

Vor inzwischen schon fast drei Wochen - wie die Zeit vergeht - habe ich an der Konferenz "Gemeinde 2.0" in Filderstadt teilgenommen. Wie sich herausstellte, waren außer mir noch drei weitere Pfälzer Pfarrerskollegen mit dabei. Derzeit versuchen wir einigermaßen erfolglos, einen gemeinsamen Termin zu finden, um uns über die mitgenommenen Inhalte und Anregungen auszutauschen. Ich will hier in Stichpunkten schon einmal meine Gedanken zusammenfassen bzw. "verewigen":

- Eine Komplettzusammenfassung der Konferenz spare ich mir; das haben andere schon mit einem Bericht vor der württembergischen Landessynode und mit einem e-Magazin getan (in das auch einige meiner Twitternachrichten während der Konferenztage aufgenommen wurden). Auch auf churchconvention.de findet sich eine ausführliche Rückschau.

- Organisatorisch lässt sich kaum ein Haar in der Suppe finden. Die FILharmonie in Filderstadt war ein toller Veranstaltungsort, in dem die knapp 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Programmpunkten im Plenum komfortabel Platz hatten; im unteren Bereich präsentierten sich verschiedene Initiativen und Projekte. Außerdem wurden die Räume der nahe gelegenen Realschule für Foren und Seminare mitgenutzt. Vom Medieneinsatz wie Videoeinspielern über Theateranspiele bis hin zur professionell aufspielenden Band (die sich schließlich auch als auf Apple-Instrumenten versiert präsentierte) stimmte alles. Einzig eine Garderobe habe ich vermisst.

- Man merkte, dass als einer der Veranstalter das Evangelische Jugendwerk in Württemberg fungierte: Es waren erstaunlich viele junge Leute da. Außerdem war die Konferenz deutlich auf Ermutigung, Motivation, Aufbruch hin angelegt. Das sorgte insgesamt für eine gute, hoffnungsfrohe Grundstimmung (die freilich durch die nach und nach eintröpfelnden Erdbebenmeldungen aus Japan getrübt wurde). Mir persönlich blieb es dadurch aber andererseits - gerade in den Plenumszusammenkünften - oft zu oberflächlich.

- Spätestens am 2. Tag war das Plenum außerdem redundant. Man musste Bischof Graham Cray natürlich genauso viel Raum (bzw. Zeit) einräumen wie Bischof Steven Croft am ersten Tag, aber er hatte nicht so viel anderes zu erzählen. Die Grundbotschaft, die vermittelt werden sollte, war dann doch recht schnell klar: Kirche darf sich nicht einigeln, nicht nur die Binnenperspektive einnehmen, nicht darauf warten, dass die Menschen zu ihr kommen, sondern muss sich auf den Weg hinaus machen, dorthin, wo die Menschen sind, und sich fragen, wie sie dort, vor Ort, die Menschen in ihren Lebenswirklichkeiten ansprechen und erreichen kann. Sie muss dazu Ideen für "Fresh Expressions" entwickeln, neue, frische Ausdrucksformen von Kirche.

- In den Projekten der anglikanischen Kirche hat dabei das gemeinsame Kochen und Essen oft eine große Bedeutung, so beispielsweise in dem präsentierten Brotback-Projekt mit Obdachlosen.

- Verschiedene Schlagworte tauchten im Lauf der Konferenz immer wieder auf. "Fresh Expressions" habe ich schon genannt. Dann: "Church Planting". Die Anglikaner verstehen ihre Vor-Ort-bei-den-Menschen-Initiativen nicht als Projekte einer Kirchengemeinde, sondern als Gemeindeneugründungen, als eigenständige Gemeinde.

- Pioneers. Konsequenterweise ist es notwendig, zum Church Planting gezielt Menschen zu entsenden, die sich fortan nur dieser Aufgabe widmen: Pioniere.

- "Dying to live": Ich habe gehört, dass die Konferenz eigentlich diesen Titel tragen sollte, was dann aber wohl doch zu gewagt erschien. Es geht um die Ermutigung, auch von kirchenleitender Seite, zum einen Risiken einzugehen - wie etwa dem, Pioniere zu entsenden und damit begabte, engagierte Leute für die eigene Gemeindearbeit zu verlieren, damit diese etwas Neues aufbauen können. Und zum anderen, dafür auch etwas sterben lassen zu können, aber natürlich Trauerbegleitung anzubieten. Dying to live - natürlich steht dahinter der Gedanke an Tod und Auferstehung Jesu.

- Schließlich "mixed economy": Mehrfach wurde deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, die Parochie, die Ortsgemeinde, abzulösen und sich nur noch auf die "Fresh Expressions" zu konzentrieren. Sondern es wurde für eine "Mischwirtschaft" aus alten und neuen Formen plädiert.

- Bischof Graham Cray sagte in einem Nebensatz, es seien im Zuge der Umsetzung des Positionspapiers "Mission-shaped Church" sehr viele ganz unspektakuläre neue Formen von Kirche entstanden. Nun: Genau diese hätten mich mal interessiert, weil sie sicher auf unsere Situation "übertragbarer" gewesen wären als etwa die "Skater Church". Vielleicht kamen diese Projekte in einem der vielen Seminare auf den Tisch?

- Recht zufrieden war ich mit dem Seminar, das ich mir ausgesucht hatte: "Die Chancen des Schrumpfens", dargeboten von zwei Referenten des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung in Greifswald. Sie fassten sehr prägnant und mit aussagekräftigen Folien die demografische und Kirchenmitgliederentwicklung zusammen, also die "hard facts", an denen wir nicht vorbei kommen. Ihr Resümee lautete dahingehend, wie es auch unser pfälzischer Kirchenpräsident Christian Schad schon verschiedentlich formuliert hat: Die im EKD-Impulspapier von 2006 ausgegebene Parole vom "Wachsen gegen den Trend" ist eine Illusion und Überforderung, die nur zu Frustration führen kann. Damit war dieses Seminar eigentlich gegenläufig zur sonstigen Ausrichtung von "Gemeinde 2.0", die mehr der "Church-Growth"-Bewegung entsprang. Vgl. dazu diese kritische Auseinandersetzung des Studienleiters des Theologischen Studienseminars der VELKD mit dieser Bewegung und mit Michael Herbst, einem der Hauptredner der Konferenz in Filderstadt (Video) - und Leiter des Greifswalder Instituts.
[UPDATE 04.05.2011: Die Inhalte dieses Seminars betreffend war eine korrigierende Ergänzung erforderlich, die in einen eigenen Blogeintrag mündete.]

- Den interessanten Vortrag über die Milieuperspektive von Heinzpeter Hempelmann gibt es online als Video und als pdf-Download

- Alle Referate aus Plenum und Foren gibt es auf der Gemeinde-2.0-Homepage zum Nachhören im mp3-Format

- Das Forum "Social Media" am Samstagnachmittag konnte man weitgehend in die Tonne treten. Obwohl damit zu rechnen war, dass Twitterer anwesend sein würden, war nicht für WLAN gesorgt worden. Es folgte zum Auftakt eine Peinlichkeit, als das aus dem Netz abgespielte Einstiegsvideo natürlich hängenblieb und schließlich abgebrochen werden musste. Und die Gesprächsrunde verlor sich dann in halbgarem Gefasel mit wenigen Konkretionen; neue Ideen gab es schon gar nicht (wenn Videoübertragungen in Gottesdiensträume als Social Media verkauft werden, muss ich mich was fragen). Das war enttäuschend.

Aber mit diesem harten Urteil will ich nicht enden, denn insgesamt war die Konferenz durchaus anregend und motivierend. Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle mehr "Butter bei die Fische" gewünscht, und lieber ein Seminar mehr, dafür eine Plenumsveranstaltung weniger gehabt. Und: Ich habe mir endlich die beiden "Milieus praktisch"-Bände zugelegt.

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