Mittwoch, 3. Oktober 2012
Von Einheit sprechen
Ich bin Deutscher, und ich bin Christ. Nein: Ich bin Westdeutscher, und ich bin evangelischer Christ. Na? Haben Sie's gemerkt? Sprache schafft Wirklichkeit. Wenn ich etwas oder jemandem, in diesem Fall mir selbst, einen Namen gebe, es bezeichne – dann unterscheide ich es oder ihn von anderen Dingen oder Menschen.
Ich bin Deutscher: Betone ich das, dann grenze ich mich ab von allen Nichtdeutschen. Ich bin Christ: Ich grenze mich ab von allen Nichtchristen. Ich bin Westdeutscher – darin steckt: und nicht Ostdeutscher. Ich bin evangelischer Christ – darin steckt: und nicht katholischer.
Wir bezeichnen, wir unterscheiden, wir grenzen ab. Und wir schaffen damit Wirklichkeit: Dinge, Tiere, Menschen, die zusammengehören – und solche, die nicht dazugehören. In der Bibel gehört diese Aufgabe zu den ersten, die der Mensch von Gott übertragen bekommt: „Wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen“ [Gen 2,19].
Durch die Sprache erschaffen wir Unterschiede, und durch die Sprache erschaffen wir Gemeinsamkeiten. Die deutsche Wiedervereinigung war auch deshalb möglich geworden, weil aus dem gegen das DDR-Regime gerichteten Slogan „Wir sind DAS Volk!“ der Slogan „Wir sind EIN Volk!“ wurde.
Die Verfasser des Aufrufs „Ökumene jetzt!“ vor einigen Wochen haben es genauso versucht. „Ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“ ist der Aufruf überschrieben, der gleich zu Beginn argumentiert: Getaufte sind Geschwister, Volk Gottes, Leib Christi, EINE Kirche eben – alles Vokabeln, die das Gemeinsame betonen.
Ob ich denke, dass es genügt, von der Einheit zu sprechen, um die Einheit zu erreichen? Nein: Viele andere Faktoren spielen natürlich eine Rolle. Bei der deutschen Einheit waren auch wirtschaftliche und politische Motive treibende Kräfte. Und auch im ökumenischen Mit- und Neben- und Gegeneinander geht es um anderes als nur die richtige Bezeichnung.
Aber wir könnten öfter das Gemeinsame betonen. Und uns, ehe wir besprechen, bewusst machen, ob wir trennen und abgrenzen oder zusammenbinden. Wir können mitarbeiten an der Gemeinschaft - allein durch bewusstes Sprechen.
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