Montag, 13. Oktober 2014

Ein Band des Friedens

Predigt am 12. Oktober 2014 (17. Sonntag nach Trinitatis) im Männergottesdienst zum Thema "Vielfalt der Lebensformen - Ertragt einander in Liebe" in der Protestantischen Kirche Altrip

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: "ein" Leib und "ein" Geist, wie ihr auch berufen seid zu "einer" Hoffnung eurer Berufung; "ein" Herr, "ein" Glaube, "eine" Taufe; "ein" Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. (Eph 4, 1-6)

Liebe Gemeinde,
knallig bunt, elastisch, selbstgemacht:
ein Loom-Armband.
Der neueste Trend – nicht nur bei Kindern.
Und nicht nur bei Mädchen; auch mein Sohn hat schon fleißig solche Bänder geknüpft.
Manche tragen zehn, zwanzig davon um die Arme oder den Hals.
Sie bestehen aus lauter einzelnen kleinen Gummiringen.
Es ist nicht nötig, irgendwelche Kettenglieder auf- und wieder zuzubiegen.
Es ist nicht nötig, irgendetwas zu kleben.
Es ist nicht nötig, irgendetwas mit Hitze zu verflüssigen, um es miteinander zu verbinden und dann wieder fest werden zu lassen.
Die einzelnen Ringe bleiben einzelne Ringe,
in ganz verschiedenen, beliebigen Farben,
und sind doch miteinander verbunden.
Sie sind einfach geschickt miteinander verhakt
und bilden so eine Einheit: das Band.


Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Schreibt einer im Namen des Apostels Paulus.

Mit Mitte vierzig holt Gerhard eine junge Kollegin in sein Team. Karin ist Anfang Dreißig und hat zwei Kinder. Sie bewundert ihn, er erlebt sich in einer neuen Rolle, war er doch als junger Mann kein Frauenheld. "Wenn wir Männer älter werden", sagt er, "und nicht vergessen, uns zu waschen und zu rasieren, bekommen wir ja plötzlich Blicke gesendet, die ich gerne als junger Mann gehabt hätte".
Eigentlich hatte er nie heiraten wollen, tat es dann doch, aber die Ehe scheiterte. Nun verliebt er sich in Karin, fast drei Jahrzehnte lang leben sie als Paar, inklusive Eifersucht, Verzweiflung und zeitweiliger Trennung. Dabei teilen die beiden nie eine Wohnung. Eigentlich wollten sie eine freie Beziehung führen. Doch daran scheiterten sie, beide waren zu eifersüchtig. Stattdessen entdeckten sie: Vertrauen. Und belassen es doch bei zwei Wohnungen und fast täglichen Treffen – und wenn sie zusammen sind, sind sie nur füreinander da.

Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.

Lucie wusste schon als Kind, dass irgendetwas mit ihr anders ist. Als sie 13 ist, erfährt sie, dass sie niemals eigene Kinder haben kann. Warum, sagt ihr niemand. Ärzte und Eltern schweigen, um die Familie zu schützen.
Mit 21 heiratet sie Hans. Mit 23 diagnostizieren die Ärzte, dass sie Hoden im Bauchraum hat und xy-Chromosomen. Eine Krise für sie selbst. Eine Krise auch für ihren Mann. Er versteht es zunächst nicht, zieht sich zurück. Eine Krise für die Ehe. Dann stellt Hans fest: Lucie ist immer noch dieselbe, er liebt sie nach wie vor.
Sie schaffen es, miteinander, obwohl sie noch viele Durststrecken durchlaufen müssen. Adoption? "Sie sind ja gar keine Frau". Und dann mit Mitte vierzig der zufällige Blick in die alten Arztakten: Zwitter. Kastration. Ein bis heute üblicher Eingriff – um männlich oder weiblich eindeutig festzulegen, um Geschlecht: zu machen. Aber war das so vorgesehen?

Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.

Hans-Jürgen wächst auf dem platten Land heran und merkt irgendwann: Er kommt gut mit Mädels aus – aber es sind Jungs, für die er romantische Gefühle entwickelt; Jungs, die ihn körperlich anziehen.
Er wartet, macht es nicht öffentlich, nicht in der Familie, nicht im Freundeskreis, auch nicht in der Gemeinde, in der er sich engagiert. Die Liebe muss lange warten.
Erst als Theologiestudent merkt er, dass er nicht mehr ausgegrenzt wird, sondern dass es Menschen gibt, die ihn unterstützen. Später zieht sein Partner mit ihm ins Pfarrhaus. Kein Problem, bis 1979. Da erklärt er sich mit einem Kollegen solidarisch, der auch mit einem Mann zusammenlebt. Nun wird er beurlaubt, dann verliert er seine Pfarrstelle. Zwei Beziehungen zerbrechen unter den äußeren Schwierigkeiten. Erst nach einigen Jahren und gerichtlichen Auseinandersetzungen kann er wieder arbeiten, als Klinikseelsorger. Er ist HIV-positiv, sein heutiger, 15 Jahre jüngerer Partner bleibt bei ihm. Den 20. Jahrestag feiern sie auf dem Standesamt. "Grüß auch schön deinen Mann", heißt es nun auf einmal, und Hans-Jürgen staunt, welche Aufwertung da spürbar wird.

Drei Geschichten
Lebensgeschichten
nicht erfunden
erlebt, erfahren

Drei Geschichten
über die Liebe
die Vielfalt, in der sie Menschen begegnet
das Glück, das Menschen mit ihr erleben
die Schwierigkeiten, die Menschen mit ihr zu überwinden haben

Drei Geschichten
von der Internetseite eine-tuer.de.
"Eine Tür ist genug" – eine Kampagne der Männerarbeit der EKD und der Evangelischen Frauen in Deutschland.
Das Ziel: die heute gelebte Vielfalt von Liebes- und Lebensbeziehungen ins Gespräch zu bringen
und zu betonen: Gott wendet sich den Menschen zu, gleich wo und wie sie Liebe und Partnerschaft leben: ob in lebenslanger Verbindung, in Patchwork-Familien, als Singles, in gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder als Menschen, die sich ihrer geschlechtlichen Identität erst bewusst werden und sie sich erarbeiten müssen.
Eine Tür ist genug.

Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.

Ein Zitat:
"Nach evangelischem Verständnis ist die Familie der
maßgebliche Ort, an dem Autonomie und Angewiesenheit,
Freiheit und Bindung gleichzeitig erfahren und gelebt werden
können. Leitlinie einer evangelisch ausgerichteten Förderung
von Familien, Ehen und Lebenspartnerschaften
muss die konsequente Stärkung von fürsorglichen familiären
Beziehungen sein. Wo Menschen auf Dauer und im
Zusammenhang der Generationen Verantwortung füreinander
übernehmen, sollten sie Unterstützung in Kirche, Gesellschaft
und Staat erfahren. Dabei darf die Form, in der Familie
und Partnerschaft gelebt werden, nicht ausschlaggebend
sein. Alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen
in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander
Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll
miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der
evangelischen Kirche bauen können."
Zitatende.
[aus der Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 zum Thema Familie, S. 141]

Ein Jahr EKD-Familienpapier -
Vor kurzem haben zwei Mitautorinnen ein kritisches Resümee gezogen [Das Folgende nach zeitzeichen 10/2014, S.43-45].
Worum ging es?
Das Papier beleuchtet die unterschiedliche Alltagspraxis von Familien.
Und es betrachtet die sozialpolitischen Rahmungen und die aktuellen Arbeitsmarktbedingungen.
Der Kern: Es gibt nicht nur eine, sondern vielfältige Formen familialer Fürsorge - und diese Formen sollten gestärkt und wertgeschätzt werden.
Fürsorge oder Sorge für andere (mit dem englischen Wort: Care) steht dabei ebenso für Erziehung wie auch für Betreuung, Versorgung und Pflege in Familien.
Die Kommission hat dazu herausgearbeitet: die individuellen Rechte von Frauen und Kindern sind so weit gestärkt worden, dass Gleichberechtigung inzwischen selbstverständlich ist. Zumindest sind das die guten Absichten der meisten, nur an der Umsetzung hapert's oft.
Auf der anderen Seite ist die Gesellschaft zunehmend gespalten; jedes dritte Kind ist sozial abgehängt, Armut ist ein Problem vor allem für Alleinerziehende, erwerbslose Eltern und Familien mit Migrationshintergrund.

So weit die Analyse. Und vor diesem Hintergrund stellen die Verfasser des Papiers fest: Wenn man diesen Herausforderungen begegnen will, ist es nicht sinnvoll, eine bestimmte Familienform bevorzugt zu behandeln.
Stattdessen gilt als entscheidend, dass verbindlich und auf Dauer füreinander Verantwortung übernommen wird. Lebensformen, für die das gilt, sollen gleiche Wertschätzung erfahren. Zugespitzt auf die Kirche heißt das: Sie sollen auch dort die gleiche seelsorgliche und gottesdienstliche Begleitung bekommen können.

Genau daran, an der Gleichbehandlung unterschiedlicher Familienformen, hat sich eine aufgeregte Debatte entzündet.
Und sie zog die Aufmerksamkeit von der eigentlich dringlichen Problematik ab: der Gerechtigkeit.
Die konkret geleistete, alltägliche Care-Arbeit verschwand hinter den Debatten, obwohl wir alle irgendwann im Lebenslauf darauf angewiesen sind.
Die Armutsprobleme der Familien mit Kindern, sie traten zurück.
Die ungleiche Arbeits- und Verantwortungsteilung zwischen Männern und Frauen, sie wurde in den Debatten nicht aufgegriffen.

Wer aber hat sich am lautesten aufgeregt? - so fragen die beiden rückblickenden Mitautorinnen.
Antwort: "Es waren auffallend häufig Männer älterer Jahrgänge in gesicherten Lebensverhältnissen und gelegentlich auch jüngere reüssierende Frauen".
Wie kommt das? Ich zitiere weiter:
"Beide Gruppen haben wichtige – auch biografische – Gründe, geschlechtliche Ungleichheitslagen zu verdrängen. Entweder können oder wollen sie nicht zugeben, dass sie ihre Karrieren der Hintergrundarbeit einer Ehe- und Hausfrau verdanken, möglicherweise bedauern sie auch entgangene Familienerfahrungen, oder – so im Fall der erfolgreichen jungen Frauen – sie haben bisher keine benachteiligenden Erfahrungen gemacht, da sie ihre Doppelrolle mit Hilfe anderer Frauen, bezahlter Care-Arbeiterinnen oder dem Einsatz von Großmüttern bewältigen. Sie alle meinen, nur eigene Leistung zähle, nicht Solidarität. Nicht zuletzt ist da die große Gruppe der Ehefrauen und Ehrenamtlichen, die ihr Leben lang für andere gesorgt, sich um andere gekümmert haben, aus Liebe und vor dem Hintergrund ihrer christlichen Überzeugungen."

Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: "ein" Leib und "ein" Geist, wie ihr auch berufen seid zu "einer" Hoffnung eurer Berufung; "ein" Herr, "ein" Glaube, "eine" Taufe; "ein" Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. 

Ich betrachte dieses Armband, das meine Tochter geknüpft hat
aus lauter kleinen Einzelringen
grüne, weiße, orangefarbene, blaue, graue, rote, schwarze …
Sie sind alle einzeln, vereinzelt
jeder ein Einzelstück
sie existieren nebeneinander
und gehören dennoch zusammen
bilden ein Band
bilden einen Leib
formen ein Ganzes
und jeder darf sein, wie er ist
wird nicht gezwungen, anders zu sein
braucht nur sich ein wenig zu strecken
nur sozusagen
die Hand zu reichen
einander zu stärken
zu stützen
in Liebe zu ertragen
um ein Ganzes zu sein
ein höheres Ganzes.
Ein Band des Friedens.
Und Gott über allen und durch alle und in allen.
Amen.

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