Predigt am Vorabend des Reformationstages (Dienstag, 30.10.2018) in der Protestantischen Kirche Altrip
Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger 32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. (Johannes 8, 31-32)
2011 bis 2013 waren die Jahre der Plagiate. Oder besser: ihrer Erkennung und Überführung. Vor allem zahlreiche Politikerinnen und Politiker mussten ihren Doktortitel wieder abgeben, weil sie ihn sich erschummelt hatten – mit größtenteils abgeschriebenen Arbeiten.
Auch dass jemand erst gar keine Doktorarbeit schreibt, aber bei der Jobbewerbung angibt, einen zu haben, kommt vor. Und manchmal kommt es nicht nur vor, sondern auch raus, wie ich gerade von einem aktuellen Fall erzählt bekam.
2013 bis 2015 waren die Jahre der Abgasskandale. Manipulieren, vortäuschen, lügen und betrügen auch hier. Schummeln, um so zu tun, als würden die gebauten Autos die Grenzwerte nicht überschreiten, obwohl sie es in Wahrheit doch tun. Ist vorgekommen, ist rausgekommen.
Und dann das Phänomen, das 2016 zum Anglizismus des Jahres gewählt und 2017 in den Duden aufgenommen wurde: Fake News.
Meldungen, die so tun, als seien sie seriöse Nachrichten, in Wahrheit aber vorgetäuscht sind, um zu manipulieren, Stimmung zu machen, vom amerikanischen Wahlkampf bis zur politischen Rechten in Deutschland. Manchmal geht es den Machern auch nur um Geld, um die Werbeeinnahmen durch Klicks und Weiterverbreitung. Donald Trump hat sogar die Fake News in die Welt gesetzt, er selbst habe das Wort „fake“ überhaupt erst erfunden!
„Die Wahrheit wird euch frei machen“, ruft Jesus seinen Gesprächspartnern und über die Jahrtausende hinweg auch uns heute zu.
Wenn die Wahrheit frei macht, dann heißt das im Umkehrschluss: Lügen und Lügen am Leben zu erhalten, schränkt ein, hält gefangen. Dieses krampfhafte Verbergenmüssen – keiner darf’s erfahren. So muss eine Lüge zur anderen führen, man verstrickt sich immer weiter im Netz der Täuschung. Und dann ist man irgendwann an der Stelle, wo man glaubt, nicht mehr zurück zu können. Und wenn es dann herauskommt, ist es uns ein Beleg dafür, dass das Sprichwort stimmt: Lügen haben kurze Beine. Oder wie es Adorno für Bildungsbürger formulierte: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Aber wer weiß denn schon, wie viele Lügen und Manipulationen eben nicht herauskommen? Gerade beim Thema Fake News ist es doch fast zum Verzweifeln, mit anzusehen, wie die ständige Wiederholung und das Sich-nur-im-Kreise-Gleichgesinnter-Bewegen dazu führt, dass immer mehr aufs Glatteis geführt werden. Und sich auch nicht mehr wegbewegen lassen: Schließlich darf einfach nicht auf einmal falsch sein, was einer die ganze Zeit für wahr gehalten hat. Und manchmal frage ich mich schon selbst, in welchen Bereichen ich selbst auf solchem Glatteis stehe und es nicht erkenne. Die Frage des Pilatus liegt mir auf den Lippen, als er Jesus verhört: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18, 38).
Selbst Jesus ging es seinerzeit mit seinen Gegnern kaum anders: „Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“, fragt er einmal (Joh 8, 46).
„Ihr werdet die Wahrheit erkennen“, sagt Jesus. Aber wie? Wie geht das, sich den Sinn für das Richtige nicht nehmen zu lassen?
Jesu Antwort: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort“. Und was genau heißt das aber nun wieder?
Martin Luther gab einen guten Tipp zum Umgang mit der Bibel, er sagte: „Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es“. Folgen wir heute, am Vorabend des Reformationstags, doch diesem Rat und reiben das Kräutlein des Johannesevangeliums, aus dem unser Predigttext stammt. „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Reiben wir also und riechen den Duft anderer Jesusworte aus dem Johannesevangelium – und bringen wir auf den Punkt, was daran hilfreiche „Wahrheit“ für uns heute sein könnte.
Als erstes fällt mein Blick auf einen Satz eine Seite vorher: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ (Joh 8,7). Das verhilft uns zur Selbsterkenntnis; dazu, nicht selbstgerecht zu sein, andere nicht zu verurteilen, sondern den Blick auf uns selbst zu richten: Habe ich mich nicht schon ähnlich verhalten? Ging es mir nicht schon genauso?
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18, 36), sagt Jesus schon ziemlich gegen Ende des Evangeliums, und das relativiert gar alle menschliche Größe und Machtstreben. Es bewahrt uns davor, Menschengemachtes oder Menschenmacht absolut zu setzen.
Stattdessen nennt Jesus einen anderen Orientierungspunkt: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4, 24). Sich ausrichten auf Gott, das immer zu üben, zur guten Gewohnheit zu machen, ist die Aufgabe.
Dann etwas kaum zu Fassendes: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ (Joh 10, 11); das sagt mir: ich bin geliebt. Ja, ich bin aufopferungsvoll geliebt. Jemand schätzt mein Leben mehr wert als sein eigenes. Wenn ich darüber recht nachdenke, mich wirklich darauf besinne, was das bedeutet, dann kann ich nicht anders als dankbar zu sein und angerührt; vielleicht sogar ein wenig unangenehm berührt, beschämt: Ich? So sehr geliebt?
Und es folgt eine Konsequenz daraus: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe (…). Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13, 34f; vgl. a. Joh 15, 12). Ein liebevoller Umgang miteinander soll also unser Kennzeichen sein; das, was uns von anderen unterscheidet, was uns vielleicht auch für andere anziehend macht.
„Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8, 12), sagt Jesus im Johannesevangelium von sich. Und „wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind“ (Joh 3, 20-21). Da haben wir dieses krampfhafte Bemühen, etwas verbergen zu müssen. Das Böse, Lug, Trug und Täuschung, es meidet das Licht Jesu, das Licht der Wahrheit: diese Werke sollen im Finstern bleiben. Wer Jesus nachfolgt, muss sein Licht auf seine Werke nicht fürchten, denn er handelt wahrhaftig.
Überhaupt: „Euer Herz erschrecke nicht!“ (Joh 14, 27), damit spricht er uns Mut zu. Und „wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh 6, 37). „Wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, (hat) das ewige Leben“ (Joh 6, 40). „Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit“ (Joh 8, 51) – damit schenkt er uns gar Hoffnung über dieses Leben hinaus.
Und damit sendet er uns als seine Jüngerinnen und Jünger in die Welt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. (…) Nehmt hin den Heiligen Geist!“ (Joh 20, 21-22)
Das alles und noch viel mehr duftet uns entgegen, wenn wir das Kräutlein des Johannesevangeliums reiben:
Verurteile nicht. Erkenne dich selbst.
Halte nichts Menschengemachtes für absolut oder ewig. Es gibt mehr und anderes als das.
Übe, dich auf Gott auszurichten.
Bedenke, dass du geliebt bist.
Pflege einen liebevollen Umgang mit deinen Nächsten.
Handle wahrhaftig in der Nachfolge und im Lichte Jesu.
Sei mutig.
Sei hoffnungsvoll.
Sei geleitet von Gottes Geist.
Die Wahrheit, die Jesus meint, sie ist also viel mehr als das Gegenteil von Falschmeldungen oder Irreführung. Wahrheit ist das, was bleibt, was unvergänglich ist. Die Wahrheit wird euch frei machen,, das heißt dann: Wer auf Gott baut, der hat Anteil an seiner Unvergänglichkeit, an dem, was immer bleibt. Denn Gott ist der Inbegriff dessen, was bleibt.
Und zum Schluss, heute am Reformationstag, noch eine Kleinigkeit: Die Wahrheit wird euch frei machen, das heißt im griechischen Text:
he aletheia eleutherosei hymas
Und aus dem „eleutheros“, was da drin steckt, nahm Martin Luder 1517 die Änderung seines Nachnamens, zu „Luther“.
Mögen wir alle in und durch Christus solche Befreite sein.
Amen.
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