Sonntag, 28. Oktober 2018

Die Sünde auf dem Sofa

Predigt am 28. Oktober 2018 (22. Sonntag nach Trinitatis) in der Protestantischen Kirche Altrip

Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut ist. 17 So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz, das mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. 22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! (Römer 7, 14-25a)


Die Sünde ist uns heutzutage fremd geworden.
Wir reden nicht mehr gern darüber.
Ich auch nicht.
Es ist unmodern, ein altertümliches Wort. Sünde.
Es ist unangenehm, es zu benutzen.
Man kommt sich ein bisschen komisch dabei vor.
Wie wird mein Gegenüber reagieren, wenn ich etwas von Sünde sage?



Von Schuld reden wir schon eher.
Über Geldschulden z.B.. Obwohl das auch unangenehm ist und oft verschwiegen wird.
Oder wenn ich mich schuldig fühle wegen irgendetwas.
Wenn ich anderen etwas schuldig geblieben bin.
Z.B. Verstorbenen – und jetzt ist es zu spät, dies noch zu sagen, jenes noch zu tun.
Oder gegenüber einem Partner, einer Partnerin, von denen wir uns trennen mussten.

Solche Schuldgefühle, schlechtes Gewissen,
das ist aber dann doch auch ein Anzeichen für das, was Paulus Sünde nennt.
Ich tue nicht das Gute, was ich will; sondern ich tue, was ich nicht will: das Böse.
Und ich weiß es.

Ich weiß schon, was gut ist.
Gott sagt es mir in seinem Gesetz. Paulus meint damit das Gesetz Mose, die Gebote.
Ich weiß schon, was gut ist. Gott hat es eingeschrieben in die Heiligen Schriften – und auch in uns selbst, in unseren Verstand, unsere Gesinnung.
Daher Schuldgefühle, schlechtes Gewissen:
Ich weiß selbst, was gut ist.
Ich weiß, was ich tun will.
Aber ich tue es nicht, wider besseres Wissen.

Das Gesetz selbst ist also eigentlich gut.
Lebensförderlich.
Wir lesen hier bei Paulus keine Ablehnung des Gesetzes im Alten Testament; nichts von einer Überwindung der Gebote oder einer Befreiung davon.
Im Gegenteil: Alle positiven Aussagen entfallen auf das Gesetz!
Es ist geistlich, es ist gut, ich habe Lust daran.

Aber: das Gesetz hängt mir auch das Böse an.
Wie das?
Es ist zu unterscheiden, ob das göttliche Gesetz im Wirkungszusammenhang von Heil oder Unheil steht.
Der Gesinnung nach dient der Mensch dem Gesetz Gottes, dem er zustimmt, mit seinem schwachen Leib dagegen dient er dem Gesetz Gottes so, dass es nur die Sünde aufzeigt.

„Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“
Diesen eindringlichen Ruf hören wir von Paulus.
Einen tiefen Seufzer der Verzweiflung.
Echte Besorgnis liegt darin, Sorge um den Menschen: sich selbst und all die anderen.

Todverfallen?
Weil mich das eigentlich gute Gesetz zum Tod verurteilt. Denn die Sünde in mir lässt mich anders handeln, gegen das Gesetz.

Die Sünde wohnt in mir, sagt Paulus.
Sie ist wie ein Wesen mit eigenem Willen, ein Parasit, mir feindlich gesinnt.
Sie hat in mir ihr Lager aufgeschlagen, sich häuslich eingerichtet, es sich bequem gemacht.
Sie fläzt sich aufs Sofa und bestimmt, was ich tue, wie mein Fleisch handelt, auch wenn mein Geist etwas anderes will. Sie sagt: Tu dies, tu jenes. Dies willst du haben, jenes begehren.
Sie gibt die Anweisungen, ein ungebetener Dauergast, Hausbesetzer, mit einer Stimme und Autorität, der du immer wieder nachgibst, obwohl du es besser weißt, anders handeln willst.
Und sie entwickelt Suchtcharakter.

Die Ergebnisse moderner Neurologie, Hirnforschung fallen mir ein: wie das Belohnungssystem in unserem Gehirn funktioniert, das Lustzentrum.
Es ist verantwortlich dafür, dass wir überhaupt zu etwas motiviert sind. Das ist die gute Funktion.
Was dieses Lustzentrum aktiviert, motiviert dazu, das entsprechende Verhalten zu wiederholen. Und ich verringere oder vermeide Tätigkeiten, die dieses Belohnungssystem nicht oder nur wenig aktivieren.
Deshalb sind schlechte Gewohnheiten so schwer wieder abzustellen.
Und deshalb verursachen Drogen eine Suchtkrankheit. Dann wird das Belohnungssystem zu etwas Fatalem.
Es hängt davon ab, wie und womit wir unser Hirn füttern.

(...)

Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

„Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“
Der Mensch befindet sich in einer aussichtslosen Lage. Deshalb dieser Stoßseufzer.
Er ist nicht vollkommen. Gottes Gesetz aber ist heilig und vollkommen. Deshalb kann der Mensch unter dem Gesetz nur immer verurteilt werden.

Nur wenn Gott selbst die leibhaftige Grundausrichtung des Menschen verändert, kann der Mensch wirklich befreit werden.
Genau dies geschieht, so Paulus, durch den Glauben an Christus und die Taufe.
Damit wird das Urteil des Gesetzes unterlaufen durch die gnadenhafte, geistbewirkte Veränderung des Menschen jetzt.
Er steht dann nicht mehr „unter“ dem Gesetz, sondern befindet sich auf Augenhöhe mit dem Gesetz.

Sünde ist, wenn die Rechte Gottes oder anderer Menschen verletzt werden. In einer bestimmten theologischen Richtung ist das so zugespitzt worden: wenn der Mensch sich selbst an die Stelle Gottes setzt, also Selbstvergötzung betreibt.
Wenn Paulus vom Bösen schreibt, das ich nicht will, aber doch tue, dann geht es wohl eher um Selbstverschlossenheit: Blindheit dafür, dass es andere mit und neben mir gibt.
Der Fehler des Menschen liegt in seiner Unfähigkeit zur Gemeinschaft.

Durch die Eingliederung in Christi Leib aber lebt der Einzelne nicht mehr für sich selbst, sondern lässt sich von der Liebe Christi leiten.
Für Paulus ist es ganz klar, dass der Glaube an Jesus Christus alles verändert und frei macht.
Im Römerbrief führt er dies im anschließenden 8. Kapitel weiter aus.
So, wie uns der Predigttext für den heutigen Sonntag vorgegeben ist, hören wir nur einen ganz kurzen Hinweis darauf:
Auf den Stoßseufzer aus tiefster Seele
folgt ein Stoß-Dank aus tiefstem Herzen:
Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
Wir aber vergegenwärtigen uns, was uns im Glauben und in der Taufe geschenkt ist:
indem wir Gemeinschaft erfahren am Tisch des Herrn, beim Abendmahl.
Sünder sind dazu eingeladen – aber nicht die Sünde.
Sie wird vom Sofa in uns vertrieben, ihr wird der Mund verboten, sie wird zum Schweigen gebracht.
Auf dass wir das Gute wollen und auch vollbringen.
Amen.

[Verschiedene textliche Anregungen zu dieser Predigt sind Klaus Berger, Kommentar zum Neuen Testament, entnommen.]

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