Predigt im Gottesdienst zum Männersonntag, 21. Oktober 2018, in der Protestantischen Kirche Altrip
Nehmen wir uns etwas Zeit, um das Bild zu betrachten, mit dem die Männerarbeit der Evangelischen Kirche in diesem Jahr das Thema des Männersonntags anschaulich machen will.
Wir blicken in einen Tunnel hinein, der gerade eine Biegung macht. Helle Lichtspuren sind im oberen Bereich zu sehen; der Tunnel scheint von oben her beleuchtet zu sein, aber es reicht nicht aus, um alles klar und deutlich hervortreten zu lassen. Vieles bleibt verschwommen und unscharf, so auch die Rücklichter der Autos, die in der rechten Bildmitte gerade noch zu erkennen sind.
Die grafische Überarbeitung des ursprünglichen Fotos bringt den Eindruck großer Geschwindigkeit hinein
Wir rasen mit in diesen futuristischen Tunnel hinein; er scheint uns anzusaugen, aufzusaugen
Der Tunnel weckt bei mir Assoziationen an:
Datenautobahn
Glasfaserkabel
Teilchenbeschleuniger
Und es kommt uns etwas, jemand, daraus entgegengerast, ein Surfer. Den linken Fuß und die rechte Hand hat er vorn am Brett, das andere Bein ist nach hinten hin angewinkelt, die andere Hand zur Seite gestreckt, balancierend. Der Surfer verblasst teilweise vor und in diesem Tunnel und den Lichtern, aber er ist deutlich regenbogenfarben schillernd, nicht von einer Farbe, sondern vielfältig.
Bin ich auch ein solcher Regenbogensurfer? Sähe das Bild aus der Perspektive dieses Surfers aufgenommen also genauso aus? Das Bild fordert uns auf, uns heraus, es genauso zu betrachten:
Ich, regenbogenfarbig schillernd, nicht eindeutig definiert, auf der Suche nach meiner Identität, meiner „Farbe“, auf dem Weg zu einem Ziel, das hinter einer nicht einsichtigen Biegung liegt, balancierend auf einem schmalen Brett. Ich kann nicht anhalten; ich soll, ich muss in Bewegung bleiben, muss die Ruhe, die Balance wahren, nicht seitlich herunterfallen, mich selbst finden in einer rasend schnellen Fahrt, während meine Umgebung immer unschärfere, undeutlichere Konturen bekommt.
„Prüft alles, das Gute behaltet.“
Wie soll das gehen, heute, unter diesen Bedingungen, was Paulus damals an die Gemeinde in Thessaloniki schrieb?
Für Luther war noch die entscheidende Frage, das, was ihn belastete: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Gott als Letztinstanz war fest vorausgesetzt, die Frage war: Wie kann ich ihn gnädig stimmen, wie ihn dazu bringen, dass sein Urteil über mein Leben gnädig ausfällt?
Irgendwann kam es dann zu einem Bewusstseinswandel: Nicht mehr um das gnädige Urteil Gottes ging es, sondern um das des Menschen selbst, um mein eigenes Urteil über mein Leben: Wie findet mein Lebensentwurf, wie finden die Wege, die ich gegangen, die Entscheidungen, die ich getroffen habe, Gnade vor mir selbst? Wie kann ich sie rechtfertigen, als sinnvoll, richtig und gut – gegenüber den vielen anderen Wegen, die ich stattdessen hätte gehen können, die Entscheidungen, die ich stattdessen hätte treffen können?
Die Beschaffenheit der modernen Gesellschaft tut das Ihre dazu, um diese Frage (Wofür sich entscheiden? Was ist gut und richtig, was falsch? Was kann und will ich vor mir und anderen verantworten?) zu verschärfen. Der Schweizer Soziologe Peter Gross prägte schon Mitte der 1990er Jahre den Begriff von der „Multioptionsgesellschaft“:
[vgl. hierzu die Hausandacht vom 19. Juni 2012 hier im Blog]
(...)
Paulus schreibt seinerzeit an eine kleine, junge Gemeinde in einer religiös buntgemischten Stadt. Multioptionalität, auch hier – die Gemeinde will sich am Glauben an Christus orientieren. Paulus liegt daran, dass die Menschen dort dem Guten nachgehen. Gemieden werden soll das Böse. Dessen Kennzeichen ist, dass es die Zerstörung der Gemeinschaft zur Folge hat. Das Gute hingegen befähigt und verpflichtet zur geschwisterlichen Liebe. Das Gute dient dem Willen Gottes und damit dem Leben und der Gemeinschaft.
In wirren Zeiten den klaren kritischen Geist zu bewahren, der das Gute vom Bösen unterscheiden kann, ist bleibende Aufgabe. Und diese Aufgabe hat sich der Mensch selbst zugeschustert, wenn wir auch darin der Bibel folgen wollen: Er hat in Gottes Paradiesgarten vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Durch den Genuss der verbotenen Frucht hat er sich also selbst einerseits aus der Naivität, andererseits aber auch aus der Geborgenheit und Eindeutigkeit herausbegeben. Und nun muss er damit umgehen – eben unterscheiden, was gut und was böse ist. Jeden Tag aufs Neue.
Von Paulus ist zu lernen: Auch in kulturell und religiös wirren Zeiten sollen wir doch am Guten, am Lebensdienlichen, festhalten. Und zwar immer mit Blick auf ein gelungenes Miteinander, so dass ein guter Geist herrscht und Gottes Geist wirken kann.
Und wer sich manchmal wieder allzu schillernd und uneindeutig vorkommt,
wer einmal wieder auf der Suche nach der eigenen Klarheit und Identität in der Vielfalt ist, der möge an zweierlei denken:
Dass der Regenbogen auch das Bundeszeichen Gottes ist, das er für Noah und all seine Nachkommen in die Wolken gesetzt hat – als sein Versprechen, alles Leben zu schützen.
Und dass die Farben des Regenbogens alle der einen Farbe entspringen, die wir in der religiösen und kirchlichen Tradition Jesus Christus zuordnen: dem reinen und klaren Weiß.
Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen