Gedanken aus einer meiner
Telefonandachten in den vergangenen Tagen:
Der Kaffee am Morgen und die Tageszeitung dazu, vielleicht etwas Frühsport, der Spaziergang am Nachmittag, die Zeit für das gute Buch oder das Hobby, der Fernsehabend , der Stammtisch oder der Vereinsabend einmal in der Woche, das Telefonat oder Treffen mit der besten Freundin, der Ausflug am Wochenende oder der Familienbesuch – das sind Rituale: Alltagsrituale. Sie helfen, mich auf mich selbst zu besinnen, meine Gesundheit, mein Wissen und Können, meine Entspannung, meinen Freundeskreis, meine Familie.
Das Läuten der Kirchenglocken zu bestimmten Tageszeiten, das Tisch- oder Abendgebet, der Gottesdienstbesuch, die Abendmahlsfeier, Taufen, Trauungen, Trauerfeiern – auch das sind Rituale: Glaubensrituale. Im Unterschied zu den Alltagsritualen verweisen sie nicht nur auf mich selbst und diejenigen, die mir nahe stehen, sondern auf etwas Höheres, womit ein tieferer Sinn unseres Daseins verbunden ist. Sie helfen, mich auf Gott zu besinnen, darauf, dass mein Leben sich nicht mir selbst verdankt, dass es ein Geschenk ist, dass ich gewollt und angenommen bin, dass ich mich nicht selbst erlösen kann, und dass ich hoffen darf über dieses Leben hinaus.
Gemeinsam ist beiden Ritualformen: Sie helfen, Struktur zu geben: den Tagen und Wochen, dem Jahr, dem ganzen Leben. Für viele dieser Rituale sind die Zeiten und Orte von außen vorgegeben, so dass wir uns danach richten können. Andere haben wir über Jahre hin eingeübt, sie sind zur Gewohnheit geworden.
Nun ist wegen der Kontaktsperre und den sonstigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens vieles davon weggebrochen. Die Tage drohen strukturlos zu werden, ein Einheitsbrei, ohne Rhythmisierung, ihre Ecken und Enden fransen sozusagen aus. Das ist vor allem für alleinstehende Menschen schwierig, auch für Menschen, die keine Arbeit haben oder ihr derzeit nicht nachkommen können oder dürfen.
In vielen Familien äußert es sich anders: Die Kombination, zu Hause für den Schulunterricht der Kinder sorgen und zugleich den eigenen beruflichen Verpflichtungen im Homeoffice nachkommen zu müssen, überdeckt alles so weit, dass auch dabei gewohnte Rituale auf der Strecke bleiben.
In der gegenwärtigen Situation mag es deshalb hilfreich, wenn nicht gar notwendig sein, sich über seine eigenen ritualisierten Abläufe Gedanken zu machen und sie bewusst zu gestalten: die Alltags- und die Glaubensrituale: Wo und wie sollen sie jetzt Platz haben in meinem Leben? Und sich dann diese Ritualtermine mit sich selbst in den Kalender eintragen – und sich wirklich jeden Tag daran erinnern lassen, vielleicht den Wecker dafür stellen. Das sind kleine Tricks, die helfen können.
Der Apostel Paulus schreibt: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther 5, 17) – Dass wir diese Tage als Chance zur Erneuerung erfahren, im persönlichen Leben wie auch gesellschaftlich, das wünsche ich uns allen.