Es ist ein Unterschied, ob ich auf ein Kruzifix blicke oder auf das leere Kreuz. Das Kruzifix mit dem Corpus Christi richtet meine Aufmerksamkeit auf die Passion. Es stellt das Leiden Jesu sowie die Art und Weise, auf die er getötet wurde, in den Mittelpunkt. Es engt das Symbol des Kreuzes ein auf die eindimensionale Deutung als Folter- und Hinrichtungswerkzeug.
Im schlichten Kreuz scheinen zwei Dimensionen auf. Da verbindet sich der Mensch in der Waagerechten des Querbalkens mit der Erde und seinen Mitmenschen, in der Senkrechten des Längsbalkens mit dem Göttlichen. Da sind noch die Nachwehen des Todes, aber es hängt kein schändlich Hingerichteter und Leidender mehr daran. Da ist noch das Wissen darum, wozu Menschen dieses Werkzeug benutzt haben, aber auch der Glaube daran, was Gott daraus gemacht hat: ein Zeichen des Lebens, der Auferstehung. Genauso ist es auch ein Unterschied, wie wir den letzten Sonntag des Kirchenjahres nennen: Totensonntag oder Ewigkeitssonntag.
Und wie es protestantischen Christen gut ansteht, den Blick hoffnungsvoll auf das leere Kreuz der Auferstehung zu richten, so ist anzustreben, dass der Ewigkeitssonntag nicht nur so in der Agende steht, sondern auch in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Zwar ist er eine Silbe länger als der Totensonntag, und „ewig“ erscheint abstrakter als „tot“. Aber im Ewigkeitssonntag ist inbegriffen, dass die Verstorbenen, derer wir an diesem Tag in den Gottesdiensten gedenken, nicht verloren, sondern in den Armen des Ewigen aufgehoben sein sollen. Denn „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden“ (Matthäus 22, 32)
[erstveröffentlicht im Evangelischen Kirchenboten 47/2008, S.1]
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